Letzter Otto-Katalog Das Ende einer gedruckten Legende

Hamburg · Seit 1950 war der Otto-Katalog Schaufenster, Trendsetter, Kult. Heute geht der letzte in Druck. Der Grund: Das Internet.

 Schöne bunte Otto-Welt: Der Katalog zeigte und setzte für Jahrzehnte Trends. 1961 (großes Bild) war der Waren-Wälzer schon eine Marke, angefangen hatte alles 1950 mit 14 handgebundenen Seiten und selbst geklebten Fotos (unten links).

Schöne bunte Otto-Welt: Der Katalog zeigte und setzte für Jahrzehnte Trends. 1961 (großes Bild) war der Waren-Wälzer schon eine Marke, angefangen hatte alles 1950 mit 14 handgebundenen Seiten und selbst geklebten Fotos (unten links).

Foto: Otto

Irgendwie gehörte er dazu. Für viele, viele Jahre, noch länger als der VW-Käfer oder die Schwarzwald-Klinik, ein (west-)deutsches Denkmal zwischen Kult und Kommerz. Der Otto-Katalog lag in Generationen von Briefkästen, ein gedrucktes Stück Wirtschaftswunderland. Und seine Geschichte, die 1950 begann, endet heute. An diesem Donnerstag springen die Druckmaschinen bei der Prinovis-Druckerei in Nürnberg noch einmal an für den Großauftrag aus Hamburg. Der Otto-Katalog Frühjahr/Sommer 2019 geht in Druck; 656 Seiten voller Mode und Technik, Sportartikel, Wohntextilien, Spielsachen und Accessoires – die ganze Vielfalt der westlichen Warenwelt. Doch es ist das letzte Mal, der letzte gedruckte Katalog in Millionenauflage. Auf dem Titelblatt demonstriert ein Model, warum es keine Zukunft gibt für den klassischen Versandhauskatalog: Das Gesicht ist auf dem Monitor eines Smartphones scharf zu sehen, der Rest nur verschwommen.

„Unsere Kunden haben den Katalog selbst abgeschafft, weil sie ihn immer weniger nutzen und schon längst auf unsere digitalen Angebote zugreifen“, sagt Marc Opelt, Chef der Einzelgesellschaft Otto, des früheren Otto-Versands. Das ist heute eine Tochtergesellschaft des Konzerns Otto Group, der längst über alte Grenzen hinausgewachsen und weltweit in verschiedenen Geschäftsfeldern rund um den Handel aktiv ist. 97 Prozent der Otto-Kunden bestellen heute digital im Internet, die meisten davon mobil über die App. Nur noch drei Prozent nutzen Fax, Brief, Telefon oder Bestellkarten.

Die Kataloge der Versandhändler waren in den Jahren des westdeutschen Wirtschaftswunders und auch noch nach dem Fall der Mauer mehr als nur ein Vertriebsinstrument. Was Neckermann, Quelle und Otto zwei- bis dreimal im Jahr in die deutschen Wohnzimmer brachten, atmete stets den Geist der Zeit. In den Otto-Katalogen der 1950er und 1960er Jahre präsentierten rauchende Männer mit Pfeifen oder Zigaretten und einem Drink in der Hand ihre Hemden, Hosen und Sakkos. Die Models hießen noch Mannequins und Kinderkleidung und Damenwäsche wurden nicht fotografiert, sondern gezeichnet. Der Otto-Katalog spiegelte nicht nur Trends wider, sondern setzte sie auch – so hatten schicke und moderne Frauen und Männer auszusehen. „In der DDR war der Katalog eine begehrte Schmuggelware“, berichtet Frank Surholt von Otto. „Die Frauen haben die Kleidung nachgeschneidert.“ Und intern rangelten die Produktmanager um Farbseiten und eine gute Platzierung ihrer Artikel – am besten auf dem rückwärtigen Einband des Katalogs. Damit ließen sich Verkäufe vervielfachen.

Der Katalog wurde moderner: Erst kamen ab den 1980er Jahren prominente Models auf den Titel – Claudia Schiffer, Giselle Bündchen, Eva Padberg und andere. Allein Heidi Klum war viermal dabei. Aber auch das lief sich schon vor mehr als zehn Jahren langsam tot. Mit Beginn der Digitalisierung kamen technische Innovationen wie eine dem Katalog beigelegte CD-ROM, um vor allem die Damenmode besser präsentieren zu können. Otto legte schon damals die Grundlage für ein Überleben in der digitalen Welt.

Neckermann und Quelle sind längst pleite und Teil des Otto-Reichs; ihre letzten Kataloge erschienen 2009 und 2012. Quelle-Gründer Gustav Schickedanz gilt als Erfinder des großen Katalogs mit allen Produkten. Er hatte schon vor dem Krieg ein Versandhandelsunternehmen aufgebaut.

Werner Otto erschien als Flüchtling erst nach dem Krieg auf der Hamburger Bühne und startete 1950 mit seinem legendären Katalog mit handgeklebten Fotos, der auf 14 Seiten 28 Paar Schuhe zeigte. Auflage: 300 Stück. In der Spitze um die Jahrtausendwende waren es mehr als 1000 Seiten in einer Auflage von zehn Millionen Stück.

 Der Otto-Katalog von 1952, damals noch jung.

Der Otto-Katalog von 1952, damals noch jung.

Foto: Otto
 1967: Models hießen noch Mannequins.

1967: Models hießen noch Mannequins.

Foto: dpa/Markus Scholz
 Blumige Zeiten: Otto-Katalog von 1970.

Blumige Zeiten: Otto-Katalog von 1970.

Foto: Otto-Katalog
  Zierten den Katalog: Models wie Claudia Schiffer (1993).

Zierten den Katalog: Models wie Claudia Schiffer (1993).

Foto: Otto
 Jüngere Ausgabe: Nena auf dem Otto-Katalog 2010.

Jüngere Ausgabe: Nena auf dem Otto-Katalog 2010.

Foto: obs/Otto (gmbh & Co Kg)
Ende einer Ära: Letzter Otto-Katalog geht in Druck
Foto: Otto/Ottto
 1978/79 war der kiloschwere Katalog längst Kult.

1978/79 war der kiloschwere Katalog längst Kult.

Foto: Otto-Katalog

Inzwischen präsentiert Otto im Internet rund drei Millionen Produkte, nicht mehr nur einige tausend wie in den Katalogen. Niemand muss um seinen Arbeitsplatz bangen, weil der Katalog wegfällt; Designer, Fotografen und Texter werden für die Internet-Präsenz gebraucht. Zudem sind gedruckte Werbemittel auch in digitalen Zeiten nicht völlig tot. Es gibt weiter Spezialkataloge zu bestimmten Themen wie Garten oder Technik oder Modekataloge zum Beginn der Saison. Allerdings sind sie nur noch ein kleiner Abglanz des legendären großen Katalogs mit den vier Buchstaben.

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