Eine neue Zeitrechnung für die Pflege

Berlin · Auf Pflegebedürftige und ihre Angehörigen kommen ab Januar einschneidende Veränderungen zu. Minister Gröhe und die Bundesregierung haben die Pflegeversicherung der umfangreichsten Reform seit ihrem Bestehen unterzogen.

 Minister Hermann Gröhe warnt: Die Reform macht „bessere Beratung erforderlich“. Foto: dpa

Minister Hermann Gröhe warnt: Die Reform macht „bessere Beratung erforderlich“. Foto: dpa

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In der Pflege beginnt ab Januar eine neue Zeitrechnung. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU ) und die große Koalition haben die umfangreichste Reform der Pflegeversicherung seit ihrer Gründung im Jahr 1995 auf den Weg gebracht.

Der Bundestag beschloss gestern dabei den dritten Baustein: Städte und Gemeinden sollen ab 2017 eine zentrale Rolle bei der Beratung von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen spielen. Sie sollen für eine Beratung "aus einer Hand" sorgen. Zugleich treten am 1. Januar Verbesserungen insbesondere für die 1,6 Millionen Demenzkranken in Kraft. Der dann maßgebliche Pflegebedürftigkeitsbegriff berücksichtigt auch den besonderen Hilfs- und Betreuungsbedarf von Menschen mit kognitiven oder geistigen Einschränkungen. Alle bislang 2,8 Millionen Leistungsempfänger werden dazu künftig nicht mehr in die drei Pflegestufen eingruppiert, sondern in fünf Pflegegrade.

"Alle Versicherten, die am 31. Dezember 2016 bereits Leistungen der Pflegeversicherung beziehen, werden am 1. Januar 2017 ohne neue Antragstellung und ohne erneute Begutachtung aus den bisherigen Pflegestufen in die neuen Pflegegrade übergeleitet", beruhigen die Kassen. Die Bundesregierung hat versprochen, dass bei der Eingruppierung in die neuen Pflegegrade niemand schlechter gestellt werden soll. Es gebe einen Bestandsschutz, so Gröhe. Anpassungen zwischen den heutigen Pflegestufen und den künftigen Pflegegraden gebe es nur nach oben.

Änderungen gibt es auch für Pflegebedürftige in Heimen. Bisher galt: niedrige Pflegestufe, niedriger Eigenanteil, höhere Pflegestufe, höherer Eigenanteil. Künftig aber zahlt jeder Heimbewohner, unabhängig vom Grad seiner Pflegebedürftigkeit, einen einheitlichen Eigenanteil. Heimbewohnern mit niedrigem Pflegegrad drohen nach Angaben der Deutschen Stiftung Patientenschutz dann aber im Vergleich zu heute Mehrbelastungen.

Durch die Reformen kann jeder versicherte Pflegebedürftige in voll- und teilstationären Pflegeeinrichtungen in den Genuss zusätzlicher Betreuungsangebote kommen. Pflegende Angehörige werden in der Renten- und Arbeitslosenversicherung besser abgesichert: Künftig zahlt die Pflegeversicherung Rentenbeiträge für alle Pflegepersonen, die einen Pflegebedürftigen im Pflegegrad zwei bis fünf mindestens zehn Stunden wöchentlich, verteilt auf mindestens zwei Tage, zu Hause pflegen. Für Pflegepersonen, die aus dem Beruf aussteigen, um sich um pflegebedürftige Angehörige zu kümmern, bezahlt die Pflegeversicherung künftig die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für die Dauer der Pflegetätigkeit.

All diese Leistungsverbesserungen haben aber zur Folge, dass die Beiträge zur Versicherung angehoben werden. Bereits zur Finanzierung des ersten Pflegestärkungsgesetzes - es sah insbesondere Verbesserungen für Angehörige vor - wurden die Beitragssätze Anfang 2015 um 0,3 Prozentpunkte erhöht. 0,2 Prozentpunkte davon sollen für Leistungsverbesserungen verwendet werden. Die restlichen 0,1 Prozentpunkte oder 1,2 Milliarden Euro gehen in einen Vorsorgefonds, der künftige Leistungen für die wachsende Zahl der Pflegebedürftigen aus der Generation der Babyboomer abfedern soll.

Mit der neuen Reform werden die Beitragssätze ab Januar um weitere 0,2 Prozentpunkte auf dann 2,55 beziehungsweise 2,8 Prozent für Kinderlose angehoben. Die beiden Beitragserhöhungen sollen insgesamt rund fünf Milliarden Euro in die Kassen der Pflegeversicherung spülen.

Meinung:

Zeichen der Zeit erkannt

Von SZ-Korrespondent Stefan Vetter

Man kann der amtierenden Bundesregierung manche Versäumnisse vorwerfen. In der Pflegepolitik hat Schwarz-Rot jedoch die Zeichen der Zeit erkannt. Gleich drei weitreichende Gesetze entstanden in dieser Wahlperiode. Der letzte Akt, der von einer Stärkung der kommunalen Rolle bei der Koordinierung der Pflegeangebote handelt, vollzog sich gestern im Bundestag. Nun müssen sich die Beschlüsse in der Praxis bewähren. Und das dürfte nicht reibungslos abgehen. Professionelle Pflegeanbieter sind mit einer Fülle neuer Vorgaben konfrontiert. Auch könnten sich viele Kommunen überfordert fühlen angesichts ihrer neuen Verantwortung, dem entstandenen Wildwuchs bei den Beratungsangeboten Herr zu werden.

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