Verkehrsgerichtstag in Goslar Eine „goldene Brücke“ für Unfallflüchtige?

Goslar/Saarbrücken · Experten wollen auf dem Verkehrsgerichtstag den Unfallflucht-Paragrafen reformieren. Mit-Initiator ist der Saarländer Hans-Jürgen Gebhardt.

 Ein Zettel mit der Aufschrift: "Bitte melden Sie sich bei uns. Ich bin ganz leicht gegen ihr Auto gerollt", klemmt an einem PKW hinter einem Scheibenwischer.

Ein Zettel mit der Aufschrift: "Bitte melden Sie sich bei uns. Ich bin ganz leicht gegen ihr Auto gerollt", klemmt an einem PKW hinter einem Scheibenwischer.

Foto: dpa/Jens Wolf

(SZ/dpa) Der Fahrer des weißen Kastenwagens hat sich wahrscheinlich strafbar gemacht: Am Montagabend gegen 22.30 Uhr soll er in der Jakob-Stoll-Straße in Oberlinxweiler einen Jägerzaun gerammt haben, wie die Polizeiinspektion St. Wendel gestern mitteilte. Der Eigentümer des Zaunes hörte nach eigener Aussage ein lautes Geräusch, schaute aus dem Fenster und sah den Kastenwagen noch wegfahren. Er erstattete Anzeige. Doch da er das Kennzeichen nicht erkennen konnte wird er womöglich auf seinem Schaden sitzen bleiben. Falls man den Verursacher jedoch erwischt, drohen diesem ernste Konsequenzen. Unfallflucht ist laut Paragraf 142 des Strafgesetzbuches eine Straftat. Und selbst wenn sich der Verursacher im Nachhinein noch von sich aus meldet und den entstandenen Schaden wieder gutmacht, dürfte er belangt werden.

Hunderttausende Verkehrsteilnehmer in Deutschland werden jedes Jahr zu Straftätern, weil sie Unfallstellen vorzeitig verlassen. Auf unerlaubtes Entfernen vom Unfallort stehen Geld- oder Freiheitsstrafe – und zwar nicht nur, wenn es Verletzte oder gar Tote gab. Auch bei Blechschäden drohen Strafe und Fahrverbot. Selbst wer eine Nachricht an der Windschutzscheibe hinterlässt und dann wegfährt, begeht Unfallflucht.

Verkehrsjuristen halten die Vorschriften in ihrer jetzigen Form für überholt. Beim Deutschen Verkehrsgerichtstag in Goslar wird deshalb noch bis morgen über eine Reform diskutiert. An vorderster Front mit dabei ist der Homburger Verkehrs­anwalt Hans-Jürgen Gebhardt, der den Reform-Vorstoß mit initiiert hat.  Er hält den entsprechenden Passus im Strafgesetzbuch für den „schwierigsten und verrücktesten Paragrafen“.

Denn der Saarländer gibt zu bedenken: „Der Dieb, der abhaut, wird auch nicht bestraft, weil er geflohen ist.“ Der Unfallflucht-Paragraph darf aus seiner Sicht nur den Interessen des Geschädigten genügen. Sprich: Das Gesetz muss dafür sorgen, dass der Schaden ersetzt wird. Gebhardt will Unfallflucht deshalb zu einem Antragsdelikt machen. Ermittelt werden soll nur, wenn Anzeige erstattet wird. Zudem möchte der Homburger Anwalt den Unfallverursachern bei reinen Blechschäden 48 Stunden Zeit geben, um sich von sich aus zu melden. Dann soll es keine Strafe für Unfallflucht geben. Der Verkehrsanwalt will auf diese Weise dafür sorgen, dass Verursacher nach dem ersten Schock zur Vernunft kommen, sich rechtlichen Beistand holen und dann das Richtige tun kann. Somit soll die „goldene Brücke“, die der Gesetzgeber bereits jetzt mit Absatz 4 des Paragraphen 142 vorsieht, deutlich ausgebaut werden. Nach derzeitiger Rechtslage kann das Gericht die Strafe mildern oder ganz davon absehen, wenn sich der Verursacher innerhalb von 24 Stunden nach einem Unfall mit geringen Schäden außerhalb des fließenden Verkehrs – also etwa bei Park­remplern – freiwillig meldet.

Diesen Ausweg für fliehende Unfallverursacher deutlich auszubauen, hält auch der ADAC für richtig: „Wenn man es mit dem Opferschutz ernst nimmt, muss eine nachträgliche Meldemöglichkeit geschaffen werden, die weder strafrechtlich noch versicherungsrechtlich nachteilige Folgen für den Unfallverursacher hat“, sagt ADAC-Verkehrsjurist Markus Schäpe. Dann würden sich vermutlich mehr Unfallverursacher nachträglich melden. Eine solche Deregulierung bei geringeren Sachschäden würde auch Polizei und Justiz entlasten.

Denn die Ermittlungsbehörden haben in Sachen Unfallflucht alle Hände voll zu tun, wie auch der Sprecher der Saar-Polizei, Stephan Laßotta, bestätigt: „Natürlich bindet das Personal.“ 8470 Fälle von Unfallflucht gab es laut polizeilicher Verkehrsunfallstatistik im Jahre 2016 im Saarland – das sind mehr als 23 pro Tag. Deutschlandweit geht der Auto Club Europa (ACE) von rund 500 000 Fällen pro Jahr aus. Jedes Mal müssen Spuren aufgenommen, Zeugen befragt und Akten angelegt werden. Und in vielen Fällen führen die Ermittlungen zu nichts, wie Laßotta sagt: „Wenn es keine Zeugen gibt, gibt es wenige Ansatzpunkte für Ermittlungen.“

Umso wichtiger ist es aus Sicht der Reform-Befürworter, dass die Verursacher sich von sich aus melden. Denn viele Unfallflüchtige wollen sich gar nicht davor drücken, den Schaden zu begleichen, glaubt Gebhardt. Oft sei es die angeborene Fluchtreaktion, die Unfallfahrer dazu bringe, das Weite zu suchen. Manchmal seien es irrationale Ängste vor dem Verlust des Führerscheins, in anderen Fällen auch das Wissen, zu viel Alkohol getrunken zu haben. Das alles seien nach 48 Stunden keine Hinderungsgründe mehr, sich bei der Polizei zu melden, argumentiert Gerhardt.

Der Verkehrsanwalt hat in den vergangenen Jahrzehnten nach eigener Aussage schon fünf bis sechs Anläufe erlebt, Paragraf 142 zu reformieren. Doch nun ist er optimistisch, dass sich der Verkehrsgerichtstag auf eine Entschließung einigt: „Dieses Mal wird es klappen, der Druck wird immer größer.“ Ob die Politik dem Vorstoß dann folgt und das Gesetz ändert, müsse man allerdings abwarten. Immerhin: Frühere Empfehlungen des Verkehrsgerichtstages wurden vielfach gesetzlich verankert.

Es gibt aber auch Stimmen, die einer Reform des Unfallflucht-Paragrafen skeptisch sehen: Dieter Müller von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DpolG) sieht darin „eine bewährte Vorschrift, die zum Ermitteln zahlreicher Straftäter geführt hat, die als Straftäter nicht erwischt werden und für den angerichteten Schaden zivilrechtlich nicht herhalten wollten“.

Der Unfallflucht-Paragraf sei noch immer zeitgemäß, sagt der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Arnold Plickert. Er meint aber: „Wer unverzüglich den Unfall bei der Polizei anzeigt, alle relevanten Daten zur Verfügung stellt und sich dann nach einem leichten Schadensfall entfernt, sollte nicht unbedingt bestraft werden müssen.“ Eine Einstufung als Ordnungswidrigkeit reiche aus.

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