St. Ingberter Chor singt in New York Ein saarländischer Chor erobert die Weltbühne

New York · Wie Sänger des Leibniz-Gymnasiums in St. Ingbert einen ganz besonderen Auftritt erlebten – in der berühmten Carnegie Hall zu New York.

 Gold, Elfenbein und Top-Akustik: Die New Yorker Carnegie Hall zählt zu den besten Konzertsälen der Welt. Jetzt gehört auch ein Gastspiel des Leibniz-Chors St. Ingbert zu ihrer langen Historie.

Gold, Elfenbein und Top-Akustik: Die New Yorker Carnegie Hall zählt zu den besten Konzertsälen der Welt. Jetzt gehört auch ein Gastspiel des Leibniz-Chors St. Ingbert zu ihrer langen Historie.

Foto: picture alliance / dpa/dpa Picture-Alliance / Arno Burgi

Der Weg vom Künstlereingang zum Konzertsaal der Carnegie Hall ist gesäumt von Schwarzweißfotografien. Sie zeigen legendäre Auftritte in Amerikas prestigeträchtigstem Musikhaus. Maria Callas ist darunter, Leonard Bernstein, John Lennon und Paul McCartney. „Da wird einem bewusst, wer schon alles auf dieser Bühne gestanden hat – und jetzt wir“, sagt Timo Uhrig. Der 29-Jährige steht als Leiter des St. Ingberter Leibniz-Chores normalerweise hinter dem Dirigentenpult. Aber die Gelegenheit, in dieser weltberühmten Atmosphäre mitzusingen, hat er sich nicht nehmen lassen. Genau wie drei weitere Männer und 18 Frauen aus dem Saarland, die am vergangenen Montag ihr Debüt in der New Yorker Carnegie Hall gaben.

Bevor sie ins Innere des 1891 eröffneten Ziegelstein-Baus an der Ecke 57th Street und Seventh Avenue gelassen werden, müssen die Sänger fast eine halbe Stunde bei klirrender Kälte ausharren. „Ob die Mick Jagger auch so lange warten lassen?“, fragt Manfred Hewer. Der 71-jährige ehemalige Lehrer für Sport und Französisch hat den halben Tag damit verbracht, in den Geschäften Manhattans eine schwarze Fliege aufzutreiben. Die schreibt der Dresscode der Carnegie Hall vor. Als er endlich eine fand, hat die „ein Vermögen gekostet“, sagt Hewer.

Weshalb die Hausherren so großen Wert auf elegante Kleidung legen, erschließt sich den Sängern unmittelbar beim ersten Schritt in den renommierten Konzert-Saal. „Da denkt man nur: Wow!“, sagt Anette Hildebrand (58), Lehrerin am Leibniz-Gymnasium und eine der drei Hauptverantwortlichen für die Organisation der Reise. Der Raum, das Isaac-Stern-Auditorium, bietet Platz für 2800 Menschen, die Sitzreihen verteilen sich auf fünf Ebenen. Elfenbein­farbene Wände, samtbezogene Sitze und reiche Blattgoldverzierungen verleihen dem Saal das Flair einer echten Weltbühne.

Eine der bekanntesten Anekdoten, die mit der Carnegie Hall verbunden sind, wird dem Violinisten Mischa Elman zugeschrieben. Nach einer Probe soll er von einem Touristen-Pärchen auf der Straße gefragt worden sein, wie man denn in die Carnegie Hall komme. Ohne aufzublicken antwortete Elman: „Üben!“

Fleiß alleine war es aber wohl nicht, der die St. Ingberter auf die Bühne brachte, die lange Zeit die Heimat der New Yorker Philharmoniker war. Ein bisschen Glück gehörte dazu und die Bereitschaft, einen Betrag von insgesamt 1500 Euro zu zahlen – pro Person.

Vor knapp einem Jahr erhielt Timo Uhrig eine Einladung der amerikanischen Agentur DCINY. Die hatte im Internet das Video eines Auftritts entdeckt, bei dem der Leibniz-Chor das Konzert „The Peacemakers“ von Karl Jenkins aufgeführt hatte. Ob man nun nicht Lust habe, bei der Uraufführung des neuen Stücks des Walisers, „Sing! The music was given“, mitzumachen. Das bedeutete: fünf Tage New York, eine Begegnung mit dem Komponisten und einen gemeinsamen Auftritt mit internationalen Chören und einem Symphonieorchester in der Carnegie Hall. Und die Saarländer sagten: „Yes, we can!“

Untergebracht wird die Gruppe im Hotel Edison am Times Square, im Herzen Manhattans. Das Haus ist benannt nach dem Erfinder der Glühlampe, der am Tag der Eröffnung 1931 höchstpersönlich den Stromschalter umlegte. Wäre er 87 Jahre später wieder an gleicher Stelle, er würde wohl seinen Augen kaum trauen, was aus seiner Erfindung geworden ist. Der berühmteste Platz der Stadt ist umgeben von riesigen Leuchtreklamen, die auch bei Nacht die Straßen taghell illuminieren. Für den Chor sind sie zusammen mit den Plakaten der Musicalshows des Broadway die tägliche Kulisse auf dem Weg zu den Proben.

Das ganze Wochenende wird im Hotel Park Central gegenüber der Carnegie Hall jeweils vier Stunden ohne Unterbrechung geprobt. Ein Kraftakt, für die Sänger wie für den Dirigenten, der aus sieben Chören in kürzester Zeit eine Einheit formen soll. Maestro Jonathan Griffith wählt einen humorvollen Ansatz, doch punktuell moduliert seine Ansprache in eine strenge Tonlage. Beharrlich unterstreicht er die Tragweite des Anlasses: „Ich bereite Sie auf einen Carnegie-Hall-Auftritt vor. Das Publikum dort erwartet ein bestimmtes Niveau. Und nicht nur das: Es ist eine Weltpremiere. Das heißt, wir setzen den Standard für alle, die nach uns kommen.“

Zum Ende der Proben stößt Sir Karl Jenkins mit seiner Frau Carol hinzu, die Teile des Librettos geschrieben hat. Die Erscheinung des Paares – wilde Mähnen, wallende Kleider – mutet wie die typischer Künstler an, ihr Auftreten ist aber vollkommen unprätentiös. Entspannt stellen sie sich den Fragen der Chorsänger. Diejenige nach der Art ihrer Zusammenarbeit beantwortet Carol charmant und selbst­ironisch: „Ich stehe immer zur Verfügung und bin billig.“

Dann ist Montag, der 15. Januar. Der Tag des Konzerts ist Martin-Luther-King-Day, Feiertag in den USA. Wer in dem an das Hotel angeschlossenen Restaurant frühstückt, kann den Morgen standesgemäß mit der „Specialty“ des Tages beginnen lassen: Hummer auf Toast mit pochiertem Ei. Helga Wack greift zu. Aufgeregt ist sie nicht. „Früher war ich immer nervös“, sagt die 77-Jährige, die schon auf der halben Welt gesungen hat. „Heute nicht mehr. Ich weiß, was ich kann.“ So abgeklärt ist nicht jeder. Viele haben in der Nacht kaum geschlafen. Manche haben die Zeit genutzt, um das Konzert noch einmal zu proben – und sei es im Bad, um die Mitbewohner im Mehrbettzimmer nicht zu stören.

Am Abend dann der große Auftritt. Die erste Hälfte des Konzerts bestreitet ein anderer Chor mit einer Aufführung von „The Armed Man“, Jenkins‘ Antikriegsstück, das inzwischen weltweit über 2500 Mal gespielt wurde. Auf diese Zahl weist der Komponist selbst hin, als er nach der Pause die Einleitung zu seinem neuen Werk gibt. Das solle doch bitte ein möglichst ähnlicher Erfolg werden. Dann die ersten Takte des Orchesters und der Einsatz des Chors. Der Saal ist für seine Akustik berühmt – doch die Sänger auf der Bühne können ihren eigenen Gesang kaum hören. Das Orchester vor ihnen ist sehr laut, für den Chor fügen sich Instrumental- und Vokalpart nicht zusammen. Für das Publikum schon. Im Resonanzraum des Zuhörerbereichs bilden die Töne eine perfekte klangliche Einheit. In vierzig Minuten malen die Musiker aus der ganzen Welt ein „bildhaft-lebendiges Tongemälde“, wie es Timo Uhrig beschreibt, eine Hymne auf die Musik, die in ihrer Dynamik und ihrem Abwechslungsreichtum „ideal in diese Stadt passt“.

Am Ende erhebt sich das Publikum zum Applaus. Er ist heftig – und kurz. Das sorgt bei den deutschen Sängern und ihren Begleitern für Irritationen. Aus ihrer Heimat sind sie langanhaltenden Beifall gewohnt. Dass diese Effizienz jedoch keineswegs kritisch gemeint ist, macht Dirigent Griffith beim anschließenden Dinner klar. „Sie haben das prima gemacht, das zeigt die Reaktion des Publikums“, lobt er die Sänger. Die fangen langsam an, sich zu entspannen und zu realisieren, was sie gerade erlebt haben. „Man steht die ganze Zeit unter Strom“, fasst Anette Hildebrand zusammen. „Das kann man erst im Nachhinein begreifen, was das Ganze wirklich bedeutet.“

 New York, New York: Der Leibniz-Chor St. Ingbert war zu einem Auftritt in der berühmten Carnegie Hall geladen. Es lief perfekt.

New York, New York: Der Leibniz-Chor St. Ingbert war zu einem Auftritt in der berühmten Carnegie Hall geladen. Es lief perfekt.

Foto: Johannes Becher

Ein Video des Auftritts findet sich im Internet unter dem Link https://de-de.facebook.com/DistinguishedConcertsInternationalNewYork/

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