Asylstreit in der Union Dunkle Wolken über der Kanzlerin

Berlin · Nach dem CSU-Aufstand im Asylstreit steht Angela Merkel enorm unter Druck. Zwar werden auch ihre Unterstützer lauter – aber der Ausgang des Dramas bleibt ungewiss.

In Sorge? Offiziell äußert sich Merkel nicht zum Streit mit Seehofer.

In Sorge? Offiziell äußert sich Merkel nicht zum Streit mit Seehofer.

Foto: dpa/Michael Kappeler

12.21 Uhr zeigt die Uhr, als im Reichstag für ein paar Minuten entsetzte Gesichter zu sehen sind. Viele Abgeordnete schauen auf ihre Handys und lesen die Eilmeldung: „Seehofer kündigt Unionsbündnis mit CDU auf“ – in der Lobby raunt einer: „Das gibt es doch nicht.“ Stimmt. Eine Falschmeldung, in die Welt gesetzt vom Satire-Magazin „Titanic“. Zahlreiche Abgeordnete, aber auch einige Medien fallen anfangs darauf rein. Weil momentan alles möglich zu sein scheint.

Es ist der Tag nach dem politischen Beben in Berlin; der Tag, nachdem Bundesinnenminister Horst Seehofer und seine CSU der CDU-Kanzlerin ein Ultimatum gestellt haben, bis Montag im Asylstreit auf CSU-Linie einzuschwenken. Ansonsten will Seehofer im Alleingang umsetzen, Flüchtlinge an der Grenze zurückzuweisen, die schon in anderen Ländern erfasst worden sind. Angela Merkel ist strikt dagegen.

Was daraus folgt, vermag im Reichstag zu Berlin keiner abschließend zu beantworten. „Merkel müsste Seehofer dann eigentlich entlassen“, sagt ein Unions-Abgeordneter. Doch das wäre das Ende der Schwesternliebe von CDU und CSU, das Ende der Regierung und auch von Merkels Kanzlerschaft. Eine Lösung dieses dramatischen Konflikts ist am Freitag nicht in Sicht – dass man am Wochenende aber noch einmal auslotet, zumindest telefonisch, gilt als sicher.

Merkel steht nun erheblich unter Druck, wohl so sehr wie noch nie in ihrer 13 Jahre andauernden Regierungszeit. Im Bundestag, wo sie am Vormittag vorbei schaut, lässt sie sich aber nichts anmerken. Die Kanzlerin läuft durch die Reihen, lächelt, hält einen Plausch mit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Merkel tut so, als ob nichts passiert ist. Sie ist erfahren genug, hat schon viele schwierige Situationen erlebt – also schaltet sie einfach in den „Weitermachen-Modus“. Was ihr Seelenleben angeht, was das Ultimatum der CSU mit ihr macht, da verweigert Regierungssprecher Steffen Seibert jede Auskunft. Die Meldung, dass Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble als Vermittler tätig werden soll, wird seitens der Union dementiert. Gleichwohl soll er dies nach SZ-Informationen in der Fraktionssitzung am Donnerstag zumindest angeboten haben. Als dienstältester Abgeordneter, Ex-Minister und Ex-CDU-Chef kennt Schäuble das Geschäft wie kein Zweiter, aber auch er hat in der Vergangenheit Merkels Flüchtlingspolitik durchaus mal kritisiert. Im Parlament sieht man ihn den Kopf zusammenstecken ausgerechnet mit Jens Spahn, dem CDU-Gesundheitsminister. Spahn ist erklärter Merkel-Kritiker und in Lauerstellung. Es wirkt, als gebe der Altvordere dem Jüngeren Tipps. Denn von Spahn weiß man, dass er irgendwann Kanzler sein will. Bietet sich da bald eine Gelegenheit, die Karriere zu forcieren? In der CDU ist etwas in Bewegung geraten.

Da gibt es freilich noch ein andere, die für die Nachfolge gehandelt wird: CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. Die Saarländerin wendet sich in einem extrem ungewöhnlichen Schreiben an die 420 000 CDU-Mitglieder und bittet in „schwieriger Situation“ um Unterstützung. Den Streit mit der CSU nennt sie erstaunlich offen eine „ernste Lage“, da er mit „immer größerer Vehemenz“ geführt werde. Viele von Seehofers Vorschlägen unterstütze die CDU. Aber: „Wir als CDU haben die Sorge, dass ungeordnete Zurückweisungen an unseren Grenzen, als Land im Herzen Europas, nicht der richtige Weg sind.“ „Wir als CDU“ heißt in diesem Fall: Angela Merkel – und ihre Verbündete Kramp-Karrenbauer.

Seehofer weist die Kritik mit scharfen Worten zurück: Nicht seine CSU, sondern die CDU sei es gewesen, „die mit der Flüchtlingsentscheidung 2015 die Spaltung Europas herbeigeführt hat“, sagt er der „Süddeutschen Zeitung“. Und weiter: „Frau Kramp-Karrenbauer stellt uns als Provinzfürsten aus Bayern hin, die die europäische Idee nicht verstanden haben.“

Unterstützung für Merkel kommt aber auch vom Koalitionspartner SPD. Parteichefin Andrea Nahles wählt deutliche Worte: Der „Bonsai-Trump“ Markus Söder solle endlich die Füße stillhalten. Die CSU-Landesregierung in ihrer Panik vor der AfD dürfe nicht „ganz Deutschland und Europa in Geiselhaft“ nehmen.

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