Die Welt ist ein großes Schlachthaus

Saarbrücken/Berlin · Schwein, Lamm oder Huhn: Völlig egal, Hauptsache es gibt Fleisch zu essen. Der Fleischhunger der Menschheit ist gigantisch – und steigt, bis 2050 auf 470 Millionen Tonnen jährlich. Mit gravierenden Folgen, wie der neue „Fleischatlas“ warnt.

Lecker sieht sie ja aus, die gebratene Hühnerbrust auf dem Teller. Unappetitlich ist jedoch die Geschichte des toten Federviehs. Mit zehntausenden Artgenossen wurde es als Küken in einen Riesenstall eingepfercht. So lebte es dicht gedrängt, vielleicht 30 oder 35 Tage lang. Unter Dauerbeleuchtung. Es sollte ja nicht schlafen, sondern fressen - ein Spezialfutter, damit es schnell groß und fett wird. Dann kam es unters Messer. Das war's.

Große Schlachthöfe töten so zehntausende Tiere pro Stunde. Gerade in Deutschland, das sich immer mehr zum Mekka der Mäster in Europa entwickelt, wie der "Fleischatlas 2014" zeigt. Sechs von sieben geschlachteten Tieren (628 Millionen Stück) sind Hühner. Insgesamt wurden 2012 bundesweit 754 Millionen Schweine, Rinder, Schafe, Gänse, Ziegen, Enten, Puten und eben Hühner getötet. Damit nimmt die Bundesrepublik einen europaweiten Spitzenplatz ein. Bei der Schweineschlachtung mit über 58 Millionen Tieren liegt Deutschland sogar auf Platz eins, beim Rindfleisch mit 3,2 Millionen Tieren hinter Frankreich auf Platz zwei - auch bei den Hühnern liegen wir unten den ersten Fünf.

"Moderne Schlachtanlagen in Europa nehmen immer absurdere Dimensionen an", warnt Barbara Unmüßig von der den Grünen nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Sie gibt gemeinsam mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland und der Zeitung "Le Monde Diplomatique" den Fleischatlas heraus. Unmüßig fordert eine Trendwende - weltweit und besonders in Deutschland. Der Pro-Kopf-Verbrauch liegt hierzulande trotz eines leichten Rückgangs um rund 2,5 Kilo derzeit bei 60 Kilogramm pro Jahr, in China bei 38 Kilogramm und in Afrika durchschnittlich bei 20 Kilogramm. "Das Beste wäre die Rückkehr zum Sonntagsbraten", meint Unmüßig.

Dazu wird es nicht kommen. Der Weltmarkt scheint momentan einfach unersättlich. Auch das zeigt der Fleischatlas. Prognosen zufolge nimmt der Konsum rasant zu. Bis Mitte des Jahrhunderts sollen weltweit jährlich fast 470 Millionen Tonnen Fleisch produziert werden, 150 Millionen Tonnen mehr als heute. Das liegt an den asiatischen Boomländern wie China und Indien. "Hier wird nach westlichem Vorbild unter hoch industrialisierten Bedingungen Fleisch erzeugt", sagt Unmüßig. Die Länder würden auch unerwünschte Nebeneffekte wie Lebensmittelskandalen, Antibiotika-Missbrauch, Nitratbelastung und Hormoneinsatz in Kauf nehmen.

Dazu kommt: Schon 70 Prozent der Ackerflächen weltweit sind mit Tierfutter belegt. Allein für die europäische Fleischproduktion wandert Soja von 16 Millionen Hektar Land in die Tröge. Ohne ein Umsteuern drohen "verheerende Folgen", heißt es in der Studie. "Das Futter für die zusätzliche Produktion wird Land- und Nahrungsmittelpreise explodieren lassen. Die Zeche für den globalen Fleischhunger zahlen die Armen, die von ihrem Land verdrängt werden und sich wegen der hohen Preise weniger Nahrung leisten können", sagt Unmüßig. Am Ende würden Kleinbauern in Afrika, Südamerika oder Asien in den Ruin getrieben. Das passiert dann aber außerhalb des Blickfeldes der Deutschen. Genau wie den Konsumenten "die Grausamkeiten des Schlachtens verborgen bleiben", wie es im Fleischatlas heißt. Schließlich stehen die Schlachtfabriken vorzugsweise weit außerhalb der Städte.

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HintergrundIn Deutschland essen 85 Prozent der Menschen nahezu täglich Fleisch. In seinem Leben verspeist ein Deutscher so durchschnittlich 1094 Tiere: 945 Hühner, 46 Schweine, 46 Puten, 37 Enten, zwölf Gänse sowie jeweils vier Rinder und vier Schafe. Das ist vier Mal so viel Fleisch wie Mitte des 19 Jahrhunderts, zeigt der "Fleischatlas". Männer essen mit 1092 Gramm pro Woche doppelt so viel Fleisch und Wurst wie Frauen, hat der zwölfte Ernährungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung ergeben. Damit überschreiten Männer den von der DGE zugrunde gelegten Orientierungswert von 300 bis 600 Gramm pro Woche deutlich. Der Bericht zeigt auch: Männer trinken etwa doppelt so viel Limonade und mehr als sechs Mal so viel Bier wie Frauen. Wasser ist hierzulande mit etwa einem Liter pro Tag das am meisten getrunkene Getränk. red/epd

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