Feier in Trier Die SPD entdeckt Karl Marx als ihren Ahnherrn wieder

Trier · Von Bernd Wientjes

 Karl Marx gehört zur SPD: Das bekräftigte Parteichefin Andrea Nahles  am Samstag in Trier.

Karl Marx gehört zur SPD: Das bekräftigte Parteichefin Andrea Nahles  am Samstag in Trier.

Foto: dpa/Harald Tittel

Draußen treten die Anti-Marx-Demonstranten mit ihren Plakaten, die an die Opfer der kommunistische Diktaturen erinnern sollen, ihren Heimweg an. Drinnen füllt sich langsam das Foyer des Trierer Theaters, wo die SPD zu einer Gedenkfeier eingeladen hat. Parteichefin Andrea Nahles will, wie einst ihr Amtsvorgänger Willy Brandt, in Marx’ Geburtsstadt eine Grundsatzrede halten, in der es um das zwiespältige Verhältnis zwischen dem Philosophen und den Genossen geht.

Brandt hatte sich bereits 1968 zum 150. Geburtstag von Marx und 1977 zur Wiedereröffnung des Karl-Marx-Hauses in der Trierer Brückenstraße damit auseinandergesetzt. Zu dieser Zeit war Marx noch der ungeliebte Verwandte der Sozialdemokraten. In Zeiten des Kalten Krieges und des real existierenden Sozialismus bekannten sich nur Ultra-Linke und Kommunisten zu den Lehren des Trierers. In der SPD hatte man sich mit dem Godesberger Programm 1959 vom Marxismus verabschiedet.

Heute gehörten die auf Marx zurückgehenden Betrachtungen und Orientierungen „nach wie vor zu uns“, wird Nahles später vor rund 500 geladenen Gästen sagen. Marx sei so aktuell wie nie, so Nahles in ihrer knapp 30-minütigen Rede. Darin spricht sie vom digitalen Kapitalismus und der digitalen Revolution, die vergleichbar sei mit der industriellen Revolution, die der Trierer in seinen Schriften anprangerte. Damals seien die Maschinen die wichtigsten Produktionsmittel gewesen, heute seien das die Daten. „Ohne Daten keine werbefinanzierten sozialen Medien, ohne Daten kein autonomes Fahren. Wer die Daten hat, hat die Macht“, ruft Nahles den Zuhörern zu. „Es geht darum, ob diese Unternehmen in Zukunft Macht über uns ausüben und unser Verhalten bestimmen.“

Ihr Vorschlag zum Umgang damit erinnert dann doch sehr an Marx‘sches Gedankengut. Große Internetunternehmen sollten ab einer bestimmten Menge von verwalteten Daten verpflichtet werden können, diese mit ihren Wettbewerbern zu teilen. „Die Daten“, so die oberste Genossin, „würden somit zu einem Gemeinschaftsgut“. Man könne auch darüber nachdenken, Plattformen wie etwa Facebook mit genossenschaftlicher Eigentümerstruktur zu betreiben. Die Unternehmen und die Daten gehörten dann nicht mehr „dem Silicon Valley, sondern den beteiligten Unternehmen oder den Bürgern“.

Eine wohl eher abseitige Idee, die aber zeigt, wie sich die nach einer Richtung suchende SPD an Marx abarbeitet und ihn für sich wiederzugewinnen versucht. „Marx ist wieder in“, sagt die SPD-Parteichefin gleich zu Beginn ihrer Rede. Der Denker sei „wieder interessant, wo Sozialstaat, sozialer Aufstieg, Mittelstandsgesellschaft und Wert der Arbeit nicht mehr selbstverständlich sind.“ Sie fordert ihre Parteifreunde auf, Marx zu enttabuisieren. Der Trierer habe die SPD in vielen Punkten inspiriert und geprägt. Er sei ein Demokrat gewesen, der Kommunismus habe dieses Bild „verdunkelt“.

Es ist eine eher leise, bedächtige Rede der gerade erst gewählten Parteichefin. Sie tritt nicht als die wortgewaltige, manchmal laute Genossin auf, die man etwa von Parteitagen kennt. Fraglich, ob ihre Rede so haften bleibt, wie die Ansprachen von Willy Brandt in Trier. Doch Nahles nutzt das Thema, um die von ihr angestrebte Erneuerung der Partei voranzutreiben.

Die neue Revolution in der Arbeitswelt gebe der Partei Gestaltungsmöglichkeiten. „Wir müssen uns zu unseren großen Zielen bekennen.“ Mit anderen Worten: Die SPD müsse aus den immer noch aktuellen Erkenntnissen von Marx Kapital schlagen.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin und Partei-Vize Malu Dreyer nennt Karl Marx den wichtigsten Ahnherrn der SPD. Seine Erkenntnisse über die soziale Frage seien so aktuell wie nie, sagt auch sie. Entstanden seien sie in Trier, in dem er das Elend der Moselwinzer aus erster Hand erfahren habe, sagt Dreyer. „Ohne die Trierer Winzer hätte Marx nie ‚Das Kapital’ geschrieben.“

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