Die Renten steigen, doch vielen droht Armut

Berlin · Auf den ersten Blick ist alles rosig für die 20 Millionen Rentner. Im neuen Jahr steigen die Bezüge deutlich. Doch die Zahl der armen Rentner wächst – sozialer Sprengstoff, der nun stärker in den Fokus rückt.

In einem halben Jahr dürften die Bezüge der rund 20 Millionen Rentner so stark steigen wie seit rund 20 Jahren nicht mehr - und das bei einem stabilem Beitragssatz von 18,7 Prozent. Muss man sich um die Rentenkasse also keine Sorgen mehr machen? Im Gegenteil. Experten warnen: Die Renten können mit den Löhnen in Deutschland immer weniger Schritt halten. So will zum Beispiel die Gewerkschaft Verdi alles dafür tun, damit das Problem stärker ins Zentrum der Debatten rückt.

Zunächst naht zum 1. Juli kommenden Jahres eine satte Anhebung um voraussichtlich knapp 4,4 Prozent im Westen und rund fünf Prozent im Osten. Vor allem die Rekordbeschäftigung in Deutschland und entsprechend hohe Einnahmen der Rentenkasse schlagen hier zu Buche. Bei einer Monatsrente von 1200 Euro bedeuten fünf Prozent mehr zum Beispiel 60 Euro brutto, bei vier Prozent sind es immer noch 48 Euro . Mit einer Rücklage von 33,9 Milliarden Euro verfehlte die Rentenversicherung zuletzt nur knapp den Rekordwert von vor einem Jahr.

Doch so rosig bleiben die Zeiten nicht. "Millionenfach droht Altersarmut", warnt Verdi-Chef Frank Bsirske . Der Gewerkschaftsboss kündigt eine große Kampagne für eine auskömmliche Rente an. "Für uns ist das eine der Grundfragen der sozialen Gerechtigkeit."

Was ist das Problem? Die Demografie - mehr Rentner , weniger Einzahler - und die jüngste Ausweitung der Leistungen zehren die Rentenreserven immer weiter auf. "Etwa ab 2020 werden die liquiden Mittel der Rentenversicherung auf die gesetzliche Untergrenze abgeschmolzen sein", sagt Alexander Gunkel, der die Arbeitgeber im Vorstand der Deutschen Rentenversicherung (DRV) vertritt.

Die Ausgaben für das Rentenpaket der großen Koalition - mit Mütterrente und abschlagsfreier Rente mit 63 Jahren - liegen 2015 bei rund neun Milliarden Euro . "Die Rentenversicherung wird 2015 voraussichtlich mit einem Minus von zwei Milliarden Euro abschließen", sagt Gunkel voraus. "Im kommenden Jahr wird das Defizit mit rund vier Milliarden Euro voraussichtlich schon etwa doppelt so hoch ausfallen."

Zwar sollen die Renten auch künftig steigen - bis 2029 um rund zwei Prozent pro Jahr. Doch von den Löhnen koppeln sich die Renten immer mehr ab. Faktoren wie die Nachhaltigkeitsrücklage dämpfen das Rentenplus. Rentner mit 45 Jahren Durchschnittslohn - so hat es der Linken-Rentenexperte Matthias W. Birkwald errechnet - bekämen ohne Dämpfungsfaktoren 2029 fast 3000 Euro mehr Rente im Jahr.

Bsirske rechnet vor: "Seit Jahren ist bekannt, dass ein Babyboomer des Jahres 1964, der 2012 ein Bruttoentgelt von monatlich 2500 Euro hatte, 40 Jahre brauchen wird, um eine Rente in Höhe der Grundsicherung im Alter zu erreichen." Also etwa so viel, wie man auch ohne gesetzliche Rente bekommt. Das Problem: "Rund elf Millionen Arbeitnehmer verdienten 2012 nicht einmal 2500 Euro im Monat." Sprich: Millionen Menschen bleiben im Alter vergleichsweise arm.

"Vielen droht der soziale Abstieg", sagt Annelie Buntenbach vom DGB-Vorstand, Vertreterin der Versicherten im DRV-Vorstand. Noch liegt das Rentenniveau bei rund 48 Prozent. Unter 43 Prozent soll es, so hat die Politik es festgelegt, bis 2030 nicht fallen. Selbst wenn das klappt, "liegt das fast 20 Prozent unter dem, was heute gezahlt wird, wenn jemand in Rente geht", so Buntenbach. "Wenn nicht politisch gehandelt wird, wird das Rentenniveau nach 2030 mit Sicherheit unter 43 Prozent sinken." Was ist zu tun?

"Um die Rente zu stärken, darf auch ein Beitragsanstieg kein Tabu sein", fordert Verdi-Chef Bsirske. Laut offiziellen Schätzungen steigt der Beitrag erst 2021 auf 19,3 und bis 2030 auf 21,8 Prozent. Buntenbach meint: "Es ist sinnvoller, die Beitragserhöhung, die ohnehin auf uns zukommt, nicht erst dann zu machen, wenn die Kasse komplett leer ist." Doch auch die Steuerzahler sollen stärker ins Boot, da sind sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer einig: Zumindest die Mütterrente soll ihrer Ansicht nach keineswegs weiter vor allem über Beiträge finanziert werden. 2015 liegt der Anteil der Bundeszuschüsse an den Einnahmen der Rentenkasse bei rund 62 von 270 Milli arden Euro . Arbeitgebervertreter Gunkel meint zudem: "Der beste Weg, um ein zu starkes Absinken des Rentenniveaus zu vermeiden, bleibt die Verlängerung der Lebensarbeitszeit und die schrittweise Erhöhung der Regelaltersgrenze." Tatsächlich rückt die Rente mit 67 auch im neuen Jahr ein Stück näher - 1951 geborene Versicherte erreichen das Rentenalter nun mit 65 Jahren und fünf Mona ten.

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