Altenpflege
Die neue Regierung und der Pflegenotstand

Die Kanzlerin bekam einen drastischen Einblick. „Es gibt Menschen, die liegen stundenlang in ihren Ausscheidungen“, hielt der Pflege-Azubi Alexander Jorde vor der Bundestagswahl in der ARD-Wahlarena Angela Merkel entgegen. „Das sind Menschen, die haben dieses Land aufgebaut nach dem Weltkrieg. Die Pflege ist so überlastet.“ Merkel versprach daraufhin vage: „Es wird mehr Standard da reinkommen.“ In wenigen Tagen nun wird die neue Regierung vereidigt – und in der Altenpflege hoffen viele auf die Linderung ihrer Not. Was sind die Probleme? Welche Perspektiven bietet die Koalition?
Der CDU-Mann Jens Spahn versicherte in einem seiner ersten Interviews als designierter Gesundheitsminister, er wolle dafür sorgen, dass der Pflegeberuf attraktiver werde. Pflege bewege „jeden in Deutschland“. Mit Spannung wird nun erwartet, was der 37-Jährige beim Deutschen Pflegetag am kommenden Donnerstag ankündigen wird.
Nadine Nachtigall ist Pflegefachkraft in einem Berliner Heim. „Den derzeitigen Mangel an Pflegekräften merken wir jeden Tag“, sagt sie. Täglich hilft sie den alten Bewohnern beim Anziehen, der Körperpflege, beim Essen und Einnehmen von Arnzei. Sie liebe den Beruf. Doch als sie vor fünf Jahren angefangen habe, sei der Fachkräftemangel weniger spürbar gewesen. „Da die Zeit oft knapp ist und in den Einrichtungen Personal fehlt, bleibt viel liegen“, erläutert Nachtigall. Sie hätte gern öfters eine halbe Stunde mehr für Gespräche mit den Bewohnern oder Angehörigen. „Das machen wir dann oft zwischen Tür und Angel.“ In ihrem Wohnbereich betreuen in der Frühschicht eine Fachkraft und drei Helfer 31 Bewohner – nachts sind es eine Fachkraft und ein Helfer für das ganze Haus mit 94 Bewohnern. „Wir sind dabei im Vergleich zu anderen Einrichtungen noch gut aufgestellt.“
Zwischen Pflege und Politik liegt eine Kluft. Der CDU-Abgeordnete Erwin Rüddel forderte die Pflegenden im Februar auf Twitter auf, „gut über die Pflege zu reden“ – und erntete Empörung. „Ich finde Verstorbene in den Zimmern, immer wieder. Keiner bekommt es mit. Es ist zu viel Arbeit. Das ist grässlich“, schrieb eine Frau.