Die "Komplizin des Teufels" ist frei

Brüssel. Belgien hat diesen Tag gefürchtet. "Komplizin des Teufels" und "Hexe" wurde sie noch vor wenigen Wochen von Demonstranten genannt: Michelle Martin (52), bis 2003 Ehefrau des vierfachen Kindermörders Marc Dutroux - und Mittäterin. Zumindest zwei der entführten Mädchen ließ sie wissentlich verhungern und versorgte stattdessen lieber den gemeinsamen Hund

Brüssel. Belgien hat diesen Tag gefürchtet. "Komplizin des Teufels" und "Hexe" wurde sie noch vor wenigen Wochen von Demonstranten genannt: Michelle Martin (52), bis 2003 Ehefrau des vierfachen Kindermörders Marc Dutroux - und Mittäterin. Zumindest zwei der entführten Mädchen ließ sie wissentlich verhungern und versorgte stattdessen lieber den gemeinsamen Hund. "Wie kann man Martin vergeben und ihr eine zweite Chance geben? Hat sie den Kindern eine Chance gelassen? Nein!", sagt Muriel Lallement (51), Organisatorin des Marsches gegen die Freilassung der einstigen Dutroux-Gefährtin. Der Aufstand blieb vergeblich: Gestern Nachmittag bestätigte der Kassationsgerichtshof in Brüssel die Entscheidung der Kollegen aus Mons vom Juli, die den insgesamt fünften Antrag auf vorzeitige Haftentlassung unter Auflagen gebilligt hatten.2004 war Martin zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt worden, 16 hat sie verbüßt, weitere acht Jahre in Untersuchungshaft werden ihr angerechnet. Nach belgischem Recht können Straftäter nach Verbüßung eines Drittels ihrer Strafe freigelassen werden. Sie darf nun im Schutz des Klarissenklosters Malonne bei Namur leben, die Regionen Brüssel und Lüttich sind für sie Sperrgebiet. "Was wäre die Welt für ein Ort, wenn niemandem eine Zukunft gegönnt wird, der jemals eine Sünde begangen hat", begründeten die elf Schwestern des Heiligen Franziskus ihre Entscheidung, Martin aufzunehmen. 40 zusätzliche Polizeibeamte, ein Wasserwerfer und ein Hubschrauber werden das abgelegene Kloster künftig schützen. Rund 150 000 Euro pro Monat kostet die Absicherung.

Sechs Mädchen hatte Marc Dutroux zwischen 1989 und 1995 verschleppt: Julie Lejeune (8), Mélissa Russo (8), An Marchal (17) und Eefje Lambrecks (19) starben in der Gewalt ihres Entführers und Missbrauchers. Die damals 12-jährige Sabine Dardenne wird nach 80 Tagen voller Gewalt aus dem Haus Dutrouxs in Marcinelle bei Charleroi ebenso befreit wie die 14-jährige Laetitia Delhez nach zwei Wochen.

Doch viele Belgier zweifeln bis heute, dass die Justiz wirklich alles aufgeklärt hat. Noch immer kreisen Spekulationen, Dutroux und seine damalige Frau seien nur die Instrumente eines hochkarätig besetzten Netzwerkes gewesen, das Kinder regelrecht verbrauchte. 27 Zeugen verschwanden oder verstarben auf ungeklärte Weise während der jahrelangen Ermittlungen. Wichtige Beweise wurden, so die Kläger, nie wirklich ausgewertet. Darunter rund 6000 Haarproben und 30 DNA-Profile, die weder Marc Dutroux noch Michelle Martin noch den entführten Mädchen zugeordnet werden konnten.

Als Untersuchungsrichter Jean-Marc Connerotte kurz nach der Verhaftung des Kindermörders seine Landsleute aufforderte, alles, was sie über einschlägige Verbrechen an Kindern wüssten, mitzuteilen, brach eine Lawine über die Ermittler herein. Die Menschen gaben Unfassbares zu Protokoll. So schilderte "Zeugin X3" "Sexpartys in einem Schloss mit einem großen Park", wo Kinder in Käfigen darauf warteten, "dranzukommen". Die Entlassung Michelle Martins bringt die Unzufriedenheit mit den Ermittlungen und viele ungeklärte Hintergründe wieder ans Licht.

Meinung

Gnade ist fehl am Platz

Von SZ-KorrespondentDetlef Drewes

Es ist ein allzu frommer Wunsch, der die Nonnen von Malonne dazu gebracht haben mag, die Komplizin des Kindermörders Marc Dutroux aufzunehmen. Wer Kinder monatelang gefangen hält, um sie täglich zu vergewaltigen, darf nicht darauf hoffen, dass ihm vergeben wird. Der Beschluss, Martin vorzeitig aus der Haft zu entlassen, mag rechtlich korrekt und unter den Kriterien christlicher Gnade höchst bewundernswert sein. Aber niemand sollte erwarten, dass die Hinterbliebenen der Opfer und mit ihnen das ganze Land dies als richtig empfinden. Natürlich basiert das Rechtssystem nicht auf dem Prinzip der Rache, sondern der Resozialisierung. Es ist aber gut nachvollziehbar, dass die Öffentlichkeit die Frage stellt, warum man jemandem Gnade gewähren sollte, der selber keine Gnade gegenüber seinen Opfern zuließ.

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