Die Hellenen auf den BarrikadenRegierungschef Papandreou bildet Kabinett um und stellt Vertrauensfrage

Brüssel/Athen. Zum dritten Mal in diesem Jahr hat ein Generalstreik gestern Griechenland lahmgelegt. Büros blieben geschlossen, Fähren liefen nicht aus. Tausende versammelten sich stattdessen vor dem Parlament, wo das nächste Sparpaket beraten wurde. "Wir können nicht mehr, wir wollen nicht mehr", sagte der 54-jährige Landwirt Giorgos Sparides, nur einer von vielen

Brüssel/Athen. Zum dritten Mal in diesem Jahr hat ein Generalstreik gestern Griechenland lahmgelegt. Büros blieben geschlossen, Fähren liefen nicht aus. Tausende versammelten sich stattdessen vor dem Parlament, wo das nächste Sparpaket beraten wurde. "Wir können nicht mehr, wir wollen nicht mehr", sagte der 54-jährige Landwirt Giorgos Sparides, nur einer von vielen.Am Tag nach dem ersten Versuch der Euro-Finanzminister, sich auf ein zweites Rettungspaket für das hoffnungslos überschuldete Land zu verständigen, gingen die Hellenen auf die Barrikaden. Ein weiteres Kapitel in einer unsäglichen Geschichte, von der auch in Brüssel niemand weiß, wie sie ausgehen wird. Morgen wollen Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy und Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem ihrer berüchtigten Vor-Gipfel-Treffen versuchen, eine gemeinsame Linie zu finden und dann vorzugeben. Sonntagabend treffen sich die Minister wieder.

Geeinigt habe man sich nicht, hieß es am späten Dienstagabend. Verständigt aber - trotz teilweise heftiger Wortgefechte vor allem zwischen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet - schon: Private Banken und Geldanleger sollen "irgendwie freiwillig" beteiligt werden. Wie das gehen soll, ist noch unklar.

Inzwischen nimmt sich die Wissenschaft der griechischen Tragödie an und kommt zu teilweise dramatischen Ergebnissen. So fanden die britischen Historiker Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff heraus, dass Griechenland seit 1820 praktisch jedes zweite Jahr zahlungsunfähig war. Eine Ursache dafür sei die kaum ausgeprägte Fähigkeit der Hellenen, Staat und Gesellschaft als unabhängige Institutionen zu begreifen, die allen zu dienen hätten. Diejenigen, die in Griechenland politische Macht ausüben, tun dies mit einem Absolutismus und einer Selbstbedienungs-Mentalität, die für das übrige demokratische Europa unverständlich ist. So zwang die jeweils amtierende Regierung die nationalen Statistikexperten in den letzten Jahrzehnten dazu, stark frisierte Zahlen zu veröffentlichen. Man stellte sogar Strohmänner ein, die alles überwachten. Als die gewaltige Zahlen-Schwindelei platzte, setzte allerdings immer noch kein durchgreifendes Umdenken ein.

Nach Schätzungen der Athener Wirtschaftszeitung "Elefterotypia" machen Schattenwirtschaft und Steuerhinterziehung rund 40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Anders gesagt: Würde der Staat die ihm zustehenden Steuern (ohne irgendeine Reform des Abgabenwesens) nur systematisch einsammeln, hätte er bis zu 30 Milliarden Euro oder 13 Prozent des Bruttoinlandsproduktes mehr in der Kasse - ein Haushaltsüberschuss. Stattdessen führt Griechenland vor allem bei einer Statistik: der Korruption. 2009 setzte Transparency International Athen auf Platz eins der am meisten von Bestechlichkeit betroffenen Staaten in Europa. Hinzu kam eine lange Jahre völlig verfehlte Wirtschaftspolitik. Trotz einer gemeinsamen Währung litt Athen immer unter einer hohen Preissteigerungsrate, was man durch niedrige Zinsen auszugleichen versuchte. Das schien ein Vorteil zu sein, bis die ganze Entwicklung kippte, weil das Land importierte, was der Markt nur hergab. Darunter vor allem unsinnige Wehrtechnik. Bis zum Einschreiten der EU kaufte Griechenland für jährlich 14 Milliarden Euro U-Boote, Fregatten und Hubschrauber. Dagegen investierten Staat und Unternehmen nur 0,5 Prozent in Forschung und Entwicklung, was der griechischen Wirtschaft einen hoffnungslosen Rückstand auf dem Weltmarkt einbrachte. Der Export sank in den letzten Jahren immer weiter, was einer Todsünde gleichkam, weil ein Land mit zehn Millionen Einwohnern nicht die Binnennachfrage generiert, um überleben zu können. Vor allem dann nicht, wenn Steuereinnahmen von 90 Milliarden Euro im Jahr Ausgaben von 120 Milliarden (2009) gegenüberstehen.

Dabei hätte alles so viel besser werden können. Als Griechenland 1981 in die EU aufgenommen wurde, öffnete man in Brüssel die prall gefüllten Fördertöpfe für den Agrar- und den Regionalbereich. Zeitweise flossen bis zu 30 Milliarden innerhalb von zwölf Monaten nach Athen.

Doch der Abstand zu den übrigen Mitgliedern der Gemeinschaft verringerte sich nicht. Stattdessen mussten die Brüsseler Prüfer dabei zusehen, wie eine Menge Geld versickerte - in Oliven-Plantagen, auf denen seit Jahren nicht mal mehr ein Grashalm gewachsen war. Bei Schafbauern, die nicht einmal wussten, was ein Schaf von einem Esel unterscheidet. Oder in öffentlichen Einrichtungen, die schon seit langem geschlossen waren.

Kein Wunder, dass sich inzwischen viele EU-Bürgerinnen und -Bürger fragen, was denn eigentlich mit den bisherigen 110 Milliarden Euro passiert ist, wenn schon jetzt (nach nur einem Jahr) weitere 120 Milliarden an Unterstützung zusammengesucht werden müssen. Diese Frage werden die 26 Staats- und Regierungschefs der EU Ende nächster Woche ihrem griechischen Kollegen Giorgos Papandreou stellen. Athen. Nach den Massenprotesten gegen die Sparpolitik seiner Regierung hat Ministerpräsident Giorgos Papandreou (Foto: dpa) eine Kabinettsumbildung angekündigt. Er werde die Regierung heute umbilden und gleich darauf im Parlament die Vertrauensfrage stellen, sagte Papandreou gestern am späten Abend im griechischen Staatsfernsehen. Er werde seinen Weg fortsetzen, bekräftigte er. Über den Umfang der geplanten Regierungsumbildung äußerte er sich zunächst nicht. Im griechischen Parlament steht eine Abstimmung über ein neues Sparpaket der Regierung im Umfang von rund 28 Milliarden Euro für den Zeitraum bis 2015 an. Das Paket sowie geplante Massenprivatisierungen sind nach Überzeugung der Regierung nötig, um die fünfte Tranche an Hilfsgeldern von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) in Höhe von zwölf Milliarden Euro zu bekommen. Allerdings schwindet die Unterstützung der Abgeordneten auch innerhalb des Regierungslagers. afp

"Wir können nicht mehr, wir wollen nicht mehr."

Giorgos Sparides, griechischer Landwirt

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