Warum wird die Partei noch gebraucht? Die Grünen sind auf der Suche nach sich selbst

Von Teresa Dapp

BERLIN (dpa) Wenn es auf die 40 zugeht, kommen Fragen auf. Kann ich mich nochmal ganz neu erfinden? Brauche ich einen Sportwagen? Die Grünen werden in drei Jahren 40. Zeit, sich Gedanken zu machen.

Sportwagen gibt es für die Ökopartei keine, aber ein neues Grundsatzprogramm will sie sich gönnen. Wenn es nach den Jüngeren in der Partei geht, muss aber noch mehr her. Ein echter Wandel, auch personell. Gerade jetzt, wenn eine Jamaika-Koalition der Partei Kompromisse weit über die Schmerzgrenze hinaus abfordern könnte.

Vor vier Jahren war der Ruf nach Erneuerung lauter. 8,4 Prozent bei der Bundestagswahl 2013, eine gefühlte Katastrophe, Jürgen Trittin und Claudia Roth gaben Fraktions- und Parteivorsitz auf. Diesmal fühlen 8,9 Prozent sich ganz gut an. Endlich wieder mitregieren, nach zwölf Jahren, die Chancen stehen gut. Schimpfen auf das Spitzenduo Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt? Zurzeit nicht so angesagt.

Trotzdem will die junge Grünen-Generation kein „Weiter so“. Dafür haben zu viele Wähler in der vergangenen Wochen gefragt, wofür die Grünen eigentlich noch stehen. Mehrere Delegierte erzählen davon bei einem kleinen Parteitag nach der Wahl. „Und das ist natürlich ne verdammt harte Frage“, sagt Malte Spitz, 33, der zum Parteirat gehört. Eine „verdammt große Chance“ sieht er im Erarbeiten des neuen Grundsatzprogramms. „Wir müssen deutlicher machen, wieso es grüne Politik in Zukunft braucht.“ Dass die klassischen Themen wichtig seien, sei inzwischen angekommen. Jetzt müsse es um Digitalisierung gehen, auf allen Ebenen. „Unsere Aufgabe ist, auch neben der klassischen Umweltpolitik zu klären: Was ist die grüne Erzählung für das 21. Jahrhundert?“

Von einer „Zeitenwende“ spricht auch Annalena Baerbock, 36, Mitglied im Sondierungsteam. Viele trauen ihr den Parteivorsitz zu. Ja, man müsse sich an die Wurzeln erinnern, findet sie. Aber eine 24-Jährige heutzutage kenne Gorleben gar nicht mehr, den Salzstock in Niedersachsen, wo die Grünen jahrzehntelang protestierten. Es dürfe kein Zurück in alte Grabenkämpfe geben, fordert Baerbock. Parteilinke und Realos haben gerade gemeinsam beschlossen, mit Union und FDP über eine Koalition zu sprechen. Aber dass die Fetzen fliegen, wenn es ernst wird und Inhalte auf dem Tisch liegen, ist jetzt schon klar. Baerbocks Wunsch: Unabhängig davon, ob aus Jamaika etwas wird, sollten die Grünen ihren „Widerspruch zwischen radikal und staatstragend, zwischen bewahrend und verändernd zukünftig mutig leben, anstatt ihn zuzukleistern“.

Geschlossenheit war das Mantra im Wahlkampf. Geschlossenheit soll den Grünen auch auf dem Weg nach Jamaika helfen. Stattdessen liegen die Parteiflügel sich seit Tagen im Netz in den Haaren, weil Göring-Eckardt von Liebe zur Heimat gesprochen hat. Erlaubt oder reaktionär? Ex-Parteichef Reinhard Bütikofer empfiehlt, mal „über den ideologischen Gartenzaun“ zu schauen. Apropos Bütikofer. Auch er ist im 14-köpfigen Sondierungsteam der Grünen. Mit Trittin, Roth, Winfried Kretschmann. Politische Schwergewichte, aber für eine neue Idee von den Grünen stehen sie nicht unbedingt. Wohl auch deshalb ist Baerbock ebenfalls dabei, und die Abgeordneten Agnieszka Brugger (32) und Katja Dörner (41). Die dürften aber kein junges, weibliches Feigenblatt bleiben, mahnen einige in der Partei.

Ein Zeichen können die Grünen im Januar setzen, wenn sie ihre Chefs neu wählen – die dann ein neues Grundsatzprogramm in Angriff nehmen. Özdemir (51) tritt nicht wieder an. Und dass Co-Chefin Simone Peter (51) nochmal gewählt wird, bezweifeln viele. Der Name Robert Habeck fällt oft. Der Politik-Philosoph aus Schleswig-Holstein gilt als Hoffnungsträger, hält Parteiflügel eher für verzichtbar und sagt, er sei „nicht auf Jobsuche“. Ob mit oder ohne Habeck an der Spitze: Die nächsten drei Jahre werden spannend für die Grünen, die auf der Suche nach sich selbst sind.

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