Die andere Energiewende

Berlin. Deutschland schreitet voran. Dumm nur, dass bisher kaum einer folgt. Derzeit vollzieht sich noch eine andere Energiewende, die etwas anders aussieht als die von Kanzlerin Angela Merkel

Berlin. Deutschland schreitet voran. Dumm nur, dass bisher kaum einer folgt. Derzeit vollzieht sich noch eine andere Energiewende, die etwas anders aussieht als die von Kanzlerin Angela Merkel. Statt massiv auf grünen Strom zu setzen, steigen vielmehr die weltweiten Kohlendioxid-Emissionen in immer neue Rekordhöhen - die Schuldenkrise lässt teils wenig Spielraum für ein Umsteuern wie in Deutschland. Doch genau das könnte sich rächen.Beispiel USA: Hier gibt es gerade eine fossile Energiewende. Die Internationale Energieagentur schätzt, dass die USA bis 2017 zum größten Öl- und bis 2015 zum größten Gasproduzenten aufsteigen werden. Mit ungeheurem Aufwand wird aus Ölsanden das schwarze Gold herausgepresst. Und mit riskantem Chemikalieneinsatz werden tiefe Gesteinsschichten aufgebrochen, um Gas herauszufördern. Dadurch purzeln die Energiepreise, während die deutsche Industrie klagt und die Bürger 2013 über elf Prozent mehr für Strom zahlen müssen. Ist der Weg der USA daher ein Modell auch für Deutschland? Eher nicht. Umweltminister Peter Altmaier (CDU) betont: "Deutschland ist dicht besiedelt. Die Risiken für das Grundwasser sind bekannt." Befürworter sagen: Deutschland könnte mit hierzulande gefördertem Gas 13 Jahre lang seinen Bedarf decken und würde diesen Energieträger damit wohl billiger machen.

Wenn in einer Woche der UN-Klimagipfel in Katar beginnt, dürfte die Renaissance fossiler Energie wieder wortreich beklagt werden. Wie die Erderwärmung so auf die als gerade noch vertretbar geltenden zwei Grad begrenzt werden soll, ist rätselhaft. Der Klimaschutz hat es gerade schwer - auch, weil die klimafreundliche, aber riskante Atomkraft weltweit auf dem absteigenden Ast ist. Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung betont: "Die Wärmerekorde nehmen weltweit zu." Seit 1880 sei der Meeresspiegel schon um 20 Zentimeter gestiegen. Warum steuert die Welt nicht um? Da trifft die Klimakrise auf die Schuldenkrise. Die USA wollen mit billiger Energie rasch neue Jobs schaffen - und Spanien, Griechenland oder Portugal fehlt Geld, um zum Beispiel die Solarenergie auszubauen.

Auch das einst groß gefeierte Wüstenstromprojekt Desertec könnte nach dem Rückzug von Siemens und Bosch vor einer ungewissen Zukunft stehen. Die Eurokrise zwinge zum Sparen, da könne man sich nicht darüber Gedanken machen, wie man Stromleitungen von Europa nach Afrika bringe, betont Siemens-Chef Peter Löscher. Das Grundproblem: In Zeiten knapper Kassen wird eher kurzfristig in Kosten/Nutzen-Kategorien gedacht.

Mit Blick auf Klimaschutz und die Erschöpfung fossiler Ressourcen dürfte der deutsche Weg zwar der einzig richtige sein. Aber hält Deutschland die Vorreiter-Rolle durch, wenn die Strompreise immer weiter steigen? Die Ökoenergiebranche leidet bereits unter einem Mangel an Absatzmärkten. In Deutschland, den USA, aber auch in China sind viele Solarfirmen tief in den roten Zahlen. Carsten Körnig vom Bundesverband Solarwirtschaft gibt sich dennoch optimistisch. "Die aktuell schwierige Situation der Photovoltaik-Branche ist eine temporäre Erscheinung", meint er. Wer kurzfristig günstig erscheinende Energieformen bevorzuge, werde die Entscheidung mittelfristig teuer bezahlen. "Solarstrom wäre schon jetzt billiger als Atom- und Kohlestrom, wenn man die langfristigen Folgen für Umwelt und Klima berücksichtigen würde."

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