Fall Kashoggi Die deutsche Wirtschaft im Saudi-Dilemma

Berlin · Deutschlands Großkonzerne haben aus strategischen Erwägungen bisher auf Saudi-Arabien gesetzt. Wird das auch nach dem Journalistenmord so bleiben können?

„Vision 2030“ heißt das ehrgeizige Programm, mit dem Saudi-Arabien seine Abhängigkeit vom Öl verringern will. Es geht um Milliardeninvestitionen. Als maßgeblich verantwortlich für den Umbau gilt Kronprinz Mohammed bin Salman. Auch deutsche Unternehmen hoffen auf lukrative Geschäfte. Nun aber hat der Tod des Journalisten Jamal Khashoggi die deutsche Wirtschaft in Alarmstimmung versetzt, zumal unklar ist, ob der Kronprinz in den Fall verwickelt ist.

Ein Blick auf die Wirtschaftsbeziehungen: 2017 exportierten deutsche Unternehmen Waren im Wert von 6,6 Milliarden Euro nach Saudi-Arabien. 2015 lag der Export noch bei rund zehn Milliarden Euro. Importiert wurde im Wert von 0,8 Milliarden Euro – Deutschland hat also einen Milliarden-Überschuss im Handel mit dem Königreich. Hauptexporte sind Maschinen, Kraftfahrzeuge, Nahrungsmittel, Arzneimittel sowie Elektro-, Mess- und Regeltechnik.

Für die deutschen Ölimporte spielt Saudi-Arabien eine untergeordnete Rolle. Das Königreich liegt auf Platz elf der Zulieferer – ganz vorne sind Russland, Norwegen und Großbritannien. Insgesamt ist die Bedeutung Saudi-Arabiens als deutscher Handelspartner also überschaubar – aber: das Königreich gilt als Land mit großem Potenzial. Dazu gehört auch Neom, eine Megastadt am Roten Meer, die größer als Mecklenburg-Vorpommern sein soll. Dort sollen Branchen wie Biotechnologie, Energie und Wasser eine Heimat finden – Branchen, in denen deutsche Firmen stark sind.

Eines von rund 800 deutschen Unternehmen, die auf Saudi-Arabien setzen, ist Siemens. Der Münchner Technologiekonzern ist an zwei prominenten Projekten beteiligt: Für 400 Millionen Dollar baut Siemens fünf Turbinen für ein neues Großkraftwerk. Und für die entstehende U-Bahn in Riad liefert Siemens unter anderem 67 Züge und Signaltechnik, Auftragswert: etwa 1,5 Milliarden Euro. Siemens hofft, beim Umbau des Königreichs zum Zuge zu kommen. Siemens-Chef Joe Kaeser betonte gestern, der Konzern sei ein „verlässlicher Partner“ des Königreichs. Zugleich aber sagte er nach breiter Kritik seine Teilnahme an einer Investorenkonferenz in Saudi-Arabien ab. Spitzenverbände der Wirtschaft betonten im Fall Khashoggi das Primat der Politik. Industrie-Präsident Dieter Kempf sprach von einer „abscheulichen Tat“. Khashoggi war am 2. Oktober im saudischen Konsulat in Istanbul ums Leben gekommen. Die Saudis erklärten, er sei bei einem Faustkampf gestorben – Ermittler gehen dagegen von Mord aus. Kempf forderte eine Aufklärung. Ob aber Firmen die Wirtschaftsbeziehungen aufkündigen sollten, sei eine „ganz schwierige Einzelfallentscheidung“.

Solche Einzelfallentscheidungen gibt es laut Angela Merkel bei den Rüstungsexporten seit gestern vorerst nicht mehr. Sie machen ohnehin nur einen kleinen Teil der deutschen Exporte aus – 2017 knapp über zwei Prozent. Allerdings haben sie einen hohen Symbolwert. Die Saudis haben einen der größten Verteidigungsetats der Welt und wollen nur das Beste vom Besten kaufen. Unter anderem hatten sie sich jahrelang um deutsche „Leopard 2“-Panzer bemüht, deren Export von der Regierung dann aber nicht genehmigt wurde. Patrouillenboote oder Radarsysteme haben sie aber erst kürzlich bekommen.

Was würde ein langfristiger Rüstungsexportstopp bedeuten? „Wir brauchen eure Rüstungsgüter nicht. Wir werden sie woanders finden“, hatte der saudische Außenminister Adel al-Dschubair im Februar gesagt. Schwierig wird es für die Saudis erst, wenn auch die USA ihre milliardenschweren Waffengeschäfte einstellen. Die machen nämlich über 60 Prozent der saudischen Rüstungskäufe aus.

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