Der Tierschutz und das Töten von Küken

Münster · Verwaltungsrichter sind keine Moral-Apostel. Das hat das OVG Münster im Streit um die Tötung männlicher Küken betont. Die Richter müssten unabhängig vom Zeitgeist entscheiden.

Wie hält es die Gesellschaft mit den Tierrechten? Was sagen Politik und öffentliche Meinung zur Tötung gerade geschlüpfter Küken? Der 20. Senat des Oberverwaltungsgerichts in Münster räumte dieser Frage in der mündlichen Verhandlung gestern ungewöhnlich viel Platz ein. Der Vorsitzende Richter Franz Oestreich referierte lange zum Stand der politischen Diskussion in Deutschland und zur Mehrheitsmeinung im Bundestag. Er beschrieb aber auch, dass die Deutschen nun mal gerne viele - und vor allem preiswerte - Eier und Hühnchen verspeisen. "Hier gibt es einen Zielkonflikt zwischen der Agrar- und Lebensmittelindustrie und der Ethik", sagte der Richter.

Das alles sollte die Zuhörer im Gerichtssaal auf eines hinführen: Das OVG muss die Rechtslage ohne Blick auf die Moral beurteilen und schauen, ob die klagenden Unternehmen sich zu Recht gegen einen Erlass der rot-grünen Landesregierung zur Wehr setzen.

Der Düsseldorfer Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) wollte es nicht länger hinnehmen, dass männliche Küken aus Profitgründen getötet werden. Bundesweit werden laut Tierschützern so jährlich bis zu 50 Millionen männliche Küken nach dem Schlüpfen geschreddert oder vergast. Ein Großteil landet auf dem Müll. "Es muss Schluss sein damit, Tiere wie Abfallprodukte zu behandeln", betonte Remmel. Jetzt musste er allerdings eine Niederlage einstecken: Das Töten der Eintagesküken verstoße nicht gegen das Tierschutzgesetz , urteilte das OVG. Die Unternehmen hätten keine wirkliche Alternative dazu und somit einen Grund zum Töten. Genau so einen Grund fordert das Tierschutzgesetz .

Der Verteidiger der Kükenbrütereien warf dem Grünen-Minister in der Verhandlung politische Spielchen vor. "Herr Remmel wusste doch, dass er hier heute in Münster verlieren würde", sagte Anwalt Martin Beckmann zum Abschluss der mündlichen Verhandlung. Der Mainzer Tierrechtsexperte Andreas Ackenheil sieht aber genau darin das Verdienst des Ministers. "Vorstöße wie die von Remmel im Jahr 2013 sind dafür verantwortlich, dass wir das Thema heute wieder ein Stück anders bewerten", sagte Ackenheil. Er hatte gehofft, dass das OVG in Münster ähnlich wie vor Jahren das Bundesverfassungsgericht beim legendären Legehennen-Urteil die wirtschaftlichen Interessen hinter den Tierschutz einordnet. Die Bundesrichter hatten Hennen deutlich mehr Platz im Stall zugestanden.

Der Münsteraner Theologe Rainer Hagencord geht mit der Fleischindustrie hart ins Gericht. "Die Tierhaltung wird dem System angepasst, es sollte aber andersherum sein", sagt der Instituts-Chef für Theologische Zoologie. Das Verhalten der Verbraucher nannte er "pathologisch". Es sei krank, wenn ständig alle sagen, sie würden gerne mehr für Tiere tun, an der Fleischtheke aber gebe niemand einen Euro mehr für gute Produkte.

Eine von Forschern der Universitäten Dresden und Leipzig entwickelte Methode könnte der Kükentötung ein Ende bereiten: Mit einer bestimmten Technik wollen sie das Geschlecht des Embryos vor der Geburt bestimmen. Das Projekt, das vom Bund mit drei Millionen Euro unterstützt wird, ist weit fortgeschritten, aber noch nicht reif für den Massenbetrieb. 2017 soll die Methode reif für die Industrie sein. Tierzüchter und -schützer wird das aber sicher nicht versöhnen.

Meinung:

So ist der Markt

Von SZ-Korrespondent Hagen Strauß

Auch wenn vielen das Herz aufgeht angesichts der putzigen Tierchen, die Küken-Tötung in Deutschland folgt schlichtweg den Marktmechanismen, für die jeder Verbraucher mitverantwortlich ist. Die meisten Konsumenten wollen billiges Hühnerfleisch von bester Qualität - was in sich schon widersprüchlich ist. Und ein Ei gehört nicht selten zum täglichen Bedarf. Männliche Eintagsküken werden aber weder prall noch legen sie Eier. Sie verursachen Kosten. Deswegen greift die Lebensmittelindustrie zur Kükentötung.

Das ist bitter, aber wahr. Auf dieser Grundlage haben die Richter entschieden. Die Botschaft ist klar: Den Tierschutz allgemein im Grundgesetz verankert zu haben, bedeutet nicht automatisch, dass Hühner, Schweine oder Kühe glücklich gemacht werden müssen. Gleichwohl muss man kein ausgewiesener Tierfreund sein, um zu erkennen, dass es nicht in Ordnung ist, wenn Millionen Küken jedes Jahr geschreddert oder vergast werden. Deshalb ist es richtig, was die Bundesregierung will. Sie treibt ein Verfahren voran, mit dem vor dem Schlüpfen eine frühzeitige Geschlechtererkennung möglich ist. Das ist der Weg, durch den sich Ökonomie und Ökologie bei den Küken einigermaßen miteinander verbinden lässt - so lange sich halt am Willen und Verhalten der meisten Verbraucher nichts ändert.

Zum Thema:

Hintergrund Allein im Saarland wurden im vergangenen Jahr über 35,2 Millionen Eier in den Hühnerställen gelegt. Bei 125 000 Legehennen errechnet sich laut Statistischem Landesamt daraus eine durchschnittliche Jahresleistung von knapp 282 Eiern je Henne. Industrielle Groß-Brütereien, in denen Eintagsküken getötet werden, gebe es im Saarland und auch in Rheinland-Pfalz nicht. Das sagt Klaus-Peter Linn, Geschäftsführer des Verbands der Geflügelhalter im Saarland. In der Regel würden in Deutschland die männlichen Hühner aber "meist nicht geschreddert, sondern vergast", sagt der Experte. SZ

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