Der Tag der grünen Abrechnung

Berlin · Die Zeit diplomatischer Floskeln ist bei den Grünen vorbei. Bei einem kleinen Parteitag in Berlin wird gegenseitig aufgetischt. In der Partei herrscht ein offener Kampf um die Ausrichtung nach links oder in die politische Mitte.

Ein wenig hat es gedauert nach dem Absacken der Grünen bei der Wahl. Aber jetzt brechen mit Macht die alten Gräben auf. Auf einem kleinen Parteitag mit rund 90 Delegierten wird laut, was lang nur insgeheim besprochen wurde. Mitte oder links? 41 Redner und rund fünf Stunden Wortmeldungen bringen keine Klarheit über die künftige politische Ausrichtung der Partei.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann liefert nicht weniger als eine Generalabrechnung. Ziel: die langjährige Leitfigur der Grünen, Jürgen Trittin. Andere Realos haben seinen Auftritt vorbereitet mit Aufrufen, sich wieder freundlicher gegenüber der Mitte zu zeigen. Nun führt Kretschmann erst das Orakel von Delphi an: "Erkenne Dich selbst - Nichts im Übermaß". Dann sagt er Trittin ins Gesicht: "Man muss auch offen sein, sich einmal belehren zu lassen und nicht selber zu belehren. Deshalb, lieber Jürgen, darf das Hauptwort nicht mehr Angriff sein."

Doch auch andere reden frei von der Leber weg. Immerhin ticken viele Stammwähler der Grünen links. Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke hat gerade ihren Rückzug von Führungsämtern in der Partei angekündigt. Jetzt geht sie jene an, die alles neu machen wollen. "Dieser Diskurs verliert aus meiner Sicht Mitte und Maß." Die Grünen hätten nicht viel Zeit, sich zu fangen. Die Umfragen gingen noch weiter runter.

Jürgen Trittin übt die Rolle des Einsichtigen: "Ich bin auch ein bisschen dafür verantwortlich, nein, ich bin auch dafür verantwortlich, dass die eine Million Stimmen, die wir 2009 gewonnen haben, wieder weg sind." Von Überschwang während der guten Zeiten spricht er. Aber als Trittin meint, Wirtschaftsverbände hätten zum Klassenkampf gegen die Grünen angesetzt, ruft Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer ihm zu: "Wir sind schuld, nicht die anderen."

Und wie argumentiert nun Katrin Göring-Eckardt, die trotz ihrer Verantwortung als Spitzenkandidatin Fraktionschefin werden will? Bürgerliche Wähler sollte die Realofrau ansprechen, hat nun aber auch Fürsprecher bei der Parteilinken. Göring-Eckardt grenzt sich fast so stark vom Gewesenen ab, als hätte sie damit nichts zu tun gehabt. "Ich bin ja der Meinung: Wir haben total übersteuert in unserem Wahlkampf." Zu viele Zahlen, zu viel Verbotsanmutung. Ob nun Göring-Eckardt oder Kerstin Andreae, Wunschkandidatin der Realos aus Baden-Württemberg, das Rennen um die Fraktionsspitze machen wird, ist offen.

Simone Peter hat es dagegen erstmal leicht. Die frühere Saar-Umweltministerin ist bei den Linken als kommende Parteichefin gesetzt - und darf nur keinen Fehler machen. Sie ruft klar und knapp zu konstruktivem Umgang auf, zur Erneuerung und Besinnung auf die Ökologie, auch zu weiterem Kümmern ums Soziale. Niemand widerspricht.

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