Der Schuss, der die Nachkriegsrepublik veränderte

Düsseldorf. Der Schuss war ein Fanal. Als der Demonstrant Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 in West-Berlin von einer Polizeikugel getroffen zusammenbrach, ahnte zwar noch niemand, dass sein Tod die Nachkriegsrepublik verändern würde. Doch die Kugel aus der Waffe des Polizisten Karl-Heinz Kurras entfachte einen Flächenbrand, der heute noch nachglimmt

Düsseldorf. Der Schuss war ein Fanal. Als der Demonstrant Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 in West-Berlin von einer Polizeikugel getroffen zusammenbrach, ahnte zwar noch niemand, dass sein Tod die Nachkriegsrepublik verändern würde. Doch die Kugel aus der Waffe des Polizisten Karl-Heinz Kurras entfachte einen Flächenbrand, der heute noch nachglimmt. Denn Ohnesorgs Tod war Auslöser für die Radikalisierung der Studentenbewegung und bereitete auch linksterroristischen Gruppen wie der RAF den Boden.

42 Jahre später bringen Historiker erstmals die Stasi in Verbindung mit dem Todesschützen. Der heute 81-jährige Kurras sei damals SED-Mitglied und Spion der DDR-Staatssicherheit gewesen, schreiben zwei Mitarbeiter der Birthler-Behörde in einem Aufsatz für die Zeitschrift "Deutschland Archiv". Hinweise auf einen Mordauftrag aus Ost-Berlin für Kurras finden sich aber in den entsprechenden Stasi-Unterlagen nicht, wie die Autoren Helmut Müller-Enbergs und Cornelia Jabs einräumen. Dennoch schlugen ihre Recherchen am Freitag bei Fachleuten ein wie eine Bombe: Er sei "fast aus dem Bett gefallen", sagte der Buchautor und RAF-Experte Stefan Aust im NDR. Zwar sei Vorsicht geboten bei Spekulationen über einen Auftragsmord. Andererseits hätten manche in der DDR durchaus "Interesse an einer Destabilisierung der Bundesrepublik und speziell von West-Berlin gehabt".

Auch Hans-Christian Ströbele, Bundestagsabgeordneter der Grünen zeigte sich im Saarländischen Rundfunk "völlig erschüttert". "Ich kann nur sagen: Wahnsinn. Wir haben nicht im Entferntesten damals daran gedacht, dass so was möglich sein könnte." Das zerstöre ein politisches Weltbild, sagte Ströbele, der sich nach den Todesschüssen von 1967 als Rechtsreferendar für die Aufklärung engagiert hatte.

Der Tod des Studenten Ohnesorg brachte vorübergehend die Republik ins Wanken. Am Abend jenes schicksalhaften 2. Juni 1967 hatten sich rund 2000 Studenten vor der Deutschen Oper in Charlottenburg versammelt, um gegen den Besuch des persischen Schahs Mohammed Resa Pahlewi zu protestieren. Die Demonstranten skandierten "Mörder, Mörder", als Anhänger des Schah unter den Augen der Polizei mit Latten auf Studenten eindroschen. Die Auseinandersetzungen eskalierten.

Während der Schah mit Bundespräsident Heinrich Lübke und Berlins Regierendem Bürgermeister Heinrich Albertz (SPD) in der Oper die Abendvorstellung von Mozarts "Zauberflöte" ansah, wurde draußen Ohnesorg von Kurras' Kugel niedergestreckt. Die genauen Umstände der Schussabgabe aus etwa eineinhalb Meter Entfernung sind bis heute ungeklärt. Aus Mangel an Beweisen wurde Kurras freigesprochen. Der Stasi soll der Polizist später gesagt haben, es sei für ihn um Leben oder Tod gegangen. "Sein Leben war durch das Angreifen der Radikalen mit einem offenen Messer gefährdet", notierte Kurras' Führungsoffizier nach Recherchen der beiden Berliner Historiker. Offenbar sei Kurras "von der Richtigkeit seiner Handlungsweise überzeugt" gewesen, heißt es demnach in dem Stasi-Protokoll.

Der Todesschuss aus Kurras' Dienstwaffe gab den Ausschlag für die Bildung der Außerparlamentarischen Opposition, die alle gesellschaftlichen Normen in Frage stellte. Die zuvor auf Berlin beschränkten Proteste weiteten sich auf Westdeutschland aus. In den Jahren danach schlugen einige studentische Aktivisten einen verhängnisvollen Weg ein: 1972 gründeten sie die terroristische "Bewegung 2. Juni". Bereits 1970 waren die Gründer der RAF in den Untergrund gegangen. Und der Liedermacher Franz-Josef Degenhardt dichtete schon 1968 in seinem Lied "2. Juni 1967": "Warum, verdammt, seid ihr nicht aufgewacht, bevor die Kugeln trafen. Jetzt denkt an Deutschland in der Nacht, und sagt, wer kann noch ruhig schlafen?"

Nach Einschätzung von Experten wären die Proteste auch nicht anders verlaufen, wenn die angebliche Stasi-Tätigkeit von Kurras als Inoffizieller Mitarbeiter "Otto Bohl" damals bekannt geworden wäre. "Die Studenten hätten das doch nicht geglaubt", zeigte sich der Historiker Arnulf Baring überzeugt. "Die hätten geglaubt, das sei eine typische Lüge der Springer-Presse." afp/red

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