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Moskau. Endlich, wird sich Sergej Karnauchow nun gedacht haben. Endlich sei er erhört worden. Jahrelang habe er, damals noch auf dem Posten des Vize-Gouverneurs von Kirow, 900 Kilometer östlich von Moskau gelegen, die Ermittlungsbehörden mit dem Wissen um seinen Widersacher Alexej Nawalny versorgt

 Ohne polizeiliche Erlaubnis darf Alexej Nawalny Moskau nicht mehr verlassen. Foto: dpa

Ohne polizeiliche Erlaubnis darf Alexej Nawalny Moskau nicht mehr verlassen. Foto: dpa

Moskau. Endlich, wird sich Sergej Karnauchow nun gedacht haben. Endlich sei er erhört worden. Jahrelang habe er, damals noch auf dem Posten des Vize-Gouverneurs von Kirow, 900 Kilometer östlich von Moskau gelegen, die Ermittlungsbehörden mit dem Wissen um seinen Widersacher Alexej Nawalny versorgt. Habe die Beamten immer wieder darauf hingewiesen, welche Gefahr von diesem dynamischen Anwalt ausgehe. Damals, als kaum jemand von Nawalny, dem Putin-Kritiker, dem Oppositionsführer, dem bloggenden Kämpfer gegen die Korruption etwas wusste. Nur passiert sei dabei nichts.Jetzt aber ist etwas passiert: Russlands Justiz hat gegen den 36-jährigen Nawalny gestern Anklage erhoben - wegen "Veruntreuung fremden Eigentums in besonders großer Höhe". Dem Anwalt drohen bis zu zehn Jahre Haft. Ohne polizeiliche Genehmigung darf er Moskau nicht mehr verlassen. Für Karnauchow muss es eine wahre Genugtuung sein, denn die "große Bedrohung Russlands", so hatte das Mitglied der Kreml-Partei "Einiges Russland" Nawalny in einem Interview mit der Zeitschrift "Russki Reportjor" bezeichnet, wird in seinen Augen nun gebannt sein.

Der Vorwurf gegen Nawalny ist nicht neu. Der Blogger, der Aktien an 30 russischen Staatskonzernen besitzt, der Zugang zu internen Firmendaten fordert und auch mal gegen russische Staatsriesen vor Gericht zieht, war einst Berater des Gouverneurs von Kirow. Dort sollte er - wie auch der genannte Sergej Karnauchow - die Antikorruptionsbehörde auf Vordermann bringen. Nawalny kümmerte sich um den staatlichen Holzbetrieb "Kirowles", der damals kurz vor der Pleite stand. Diesen soll er zu "ungünstigen Verträgen" mit einer Kapitalgesellschaft eines Bekannten gezwungen haben. So steht es in der Anklage.

"Kirowles" sei dabei ein Schaden von etwa 1,5 Millionen Rubel (umgerechnet 37 500 Euro) entstanden. Nawalny bestreitet die Vorwürfe, die seit 2008 alle paar Monate auf ihn eintreffen, und bezeichnet sie als "absurd".

Der Putin-Kritiker, der viele Massenproteste in der russischen Hauptstadt mitorganisiert hatte, ist der nächste Angeklagte aus dem Kreis der Oppositionellen. 16 Regime-Gegner, meist unbekannte junge Menschen, müssen sich bereits wegen der "Teilnahme an Massenunruhen" am Tag vor Putins Vereidigung als Präsident verantworten, die Punk-Guerilla von "Pussy Riot" sitzt seit Montag im Glaskäfig eines Moskauer Gerichts und könnte wegen Rowdytums für sieben Jahre in die Strafkolonie wandern, bei anderen Oppositionellen gab es Hausdurchsuchungen. Für Russlands Opposition ist das ein starkes Zeichen dafür, dass der Kreml Andersdenkende kaltstellen will. "Nawalny ist ein sehr starkes amerikanisches Projekt", hatte Karnauchow bereits im vergangenen Jahr gesagt. Es sei nun eine "ideologische Aufgabe, ihn hinter Gitter zu bringen".

Hintergrund

 Ohne polizeiliche Erlaubnis darf Alexej Nawalny Moskau nicht mehr verlassen. Foto: dpa

Ohne polizeiliche Erlaubnis darf Alexej Nawalny Moskau nicht mehr verlassen. Foto: dpa

Im umstrittenen Gerichtsverfahren gegen die russische Band Pussy Riot haben die drei angeklagten Frauen der Justiz Folter vorgeworfen. "Wir haben nicht geschlafen und kein Essen bekommen - das ist Folter", sagte Maria Aljochina (24) nach Angaben der Agentur Interfax am zweiten Prozesstag in Moskau. Nebenkläger warfen den Künstlerinnen hingegen vor, ihnen mit dem Punk-Gebet gegen Kremlchef Wladimir Putin und den russisch-orthodoxen Patriarchen Kirill in der Moskauer Erlöserkathedrale seelische Schmerzen bereitet zu haben. Wegen der Aktion in der wichtigsten christlichen Kirche in Russland am 21. Februar drohen Aljochina, Nadeschda Tolokonnikowa (22) und Jekaterina Samuzewitsch (29) sieben Jahre Haft. Die Anklage wirft ihnen Rowdytum aus religiösem Hass vor. dpa

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