Wu Weishan im SZ-Porträt Der Mann, der Marx zum Mega-Denkmal machte

Peking · Der kommunistische Künstler Wu Weishan hofft durch sein Werk auf mehr Aufmerksamkeit für den größten Sohn der Stadt Trier.

Als er sein Werk beendet hatte und sah, dass es gut war, wurde ihm ganz warm ums Herz. „Als ich Anfang März in eisiger Kälte um fünf Uhr morgens am Flughafen stand und sie in Richtung Deutschland abfliegen sah, empfand ich große Befriedigung“, sagt Wu Weishan. Zwei Jahre Arbeit stecken in seiner mächtigen Marx-Statue, über die in den vergangenen Monaten viel geschrieben, geschimpft und gestritten wurde. Sie ist ein Geschenk für die Stadt Trier im fernen Deutschland, der Auftrag kam direkt von der chinesischen Regierung. „Der Einfluss von Marx auf die chinesische Gesellschaft ist immens“, sagt Wu unserer Zeitung. „Dieses Projekt war also etwas ganz Besonderes.“

In keinem Land spielt Karl Marx heute noch so eine große Rolle wie in China: Die Schriften des deutschen Denkers sind dort Grundlage der offiziellen Ideologie. Für Wu war es daher eine große Sache und Ehre, eine Statue anzufertigen – von dem Mann, der vor 200 Jahren in Trier zur Welt kam. An diesem Samstag ist es so weit: Triers Bürgermeister Wolfram Leibe und der chinesische Botschafter Shi Mingde werden das Marx-Abbild enthüllen. Die 2,3 Tonnen Bronze sind weit gereist: Wu hat die Skulptur in seinem Studio in Peking angefertigt. Er hoffe, dass die Statue in Deutschland etwas davon vermittle, wie wichtig China die Gedanken von Triers berühmtesten Sohn immer noch nimmt.

Künstler Wu, das klingt hier schon heraus, ist engagiertes Mitglied der Kommunistischen Partei. Der 56-Jährige gilt als Vertreter der „jungen Generation“ chinesischer Künstler, deren Wirken nach den Wirren der Mao-Zeit begonnen hat. Wu ist die erste Wahl, wenn der Staat Aufträge für politisch wichtige Standbilder zu vergeben hat. Er hat schon Mao in einer Statue verewigt, ebenso Marx und Engels. Kunstwerke mit so viel ideologischer Aufladung darf in China nur anfertigen, wer politisch absolut zuverlässig ist. Schließlich soll das Werk die erwünschte Botschaft übermitteln – ohne Zwischentöne. Wu ist hier über jeden Zweifel erhaben: Er ist Direktor des Nationalen Kunstmuseums in Peking, Präsident des Vereins für Bildhauerei im städtischen Raum, Vizepräsident des Chinesischen Künstlerverbandes, eingetragener Kunstexperte der Regierung und Leiter der Abteilung Bildhauerei der Kunstakademie Chinas.

Und nicht nur angesichts seines Werdegangs war er der richtige Mann für den Job. „Als ich ein Kind war, hing bei uns ein Porträt von Marx“, erzählt Wu. Im Staatsbürgerkundeunterricht der Mittelschule führten die Lehrer ihn dann systematisch an den Marxismus heran. An der Uni war die Lehre des deutschen Denkers Prüfungsstoff: „Ein chinesischer Künstler muss sich eben mit Marx auskennen.“ Wu kann die deutsche Diskussion um die Angemessenheit des Geschenks aus China daher nicht nachvollziehen. Schließlich sei Marx einer der einflussreichsten Deutschen und der bekannteste Trierer. „Ich hoffe, dass die Statue dabei hilft, dass in Zukunft mehr Menschen seine Philosophie nachvollziehen können.“

Kritik an seinen Werken, oder auch nur leise Missstimmungen, sind Wu Weishan, der in China durchaus ein Promi ist, weitgehend unbekannt. Im März war er wieder groß in den Medien vertreten – nicht als Schöpfer des Marx-Denkmals, sondern als Abgeordneter der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes. Das ist die zweite Kammer des chinesischen Parlaments. Kunstwerke könnten als Mörtel der menschlichen Gemeinschaft dienen, sagte Wu damals.

Solche Hoffnungen hegt er auch für seinen Marx. „In den 100 Jahren seit dem Tod des Denkers hat sich über eine Milliarde Menschen dem Marxismus verschrieben, das zeigt bereits den Wert seiner Theorien.“ Die Kommunistische Partei habe den Marxismus immer als Grundlage ihres Handelns verstanden und unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Realität weiterentwickelt. Chinas heutige Erfolge zeigten die Richtigkeit dieses Wegs.

Mit diesen Äußerungen bewegt sich Wu, wie immer, genau auf Parteilinie. Präsident Xi Jinping hat kürzlich erst klar gemacht, dass er sich unverändert in der Tradition von Marx, Lenin und Mao sieht. Im April hat er angeordnet, dass alle Parteimitglieder 16 ausgewählte Werke von Marx, darunter das Kommunistische Manifest, wieder mit größerem Eifer studieren sollen. Allerdings passen die jeweils regierenden Politiker Chinas Marxismus laufend an die aktuellen Befindlichkeiten an. Marx würde seine Ideen in der modernen Praxis des Landes vermutlich nicht wiedererkennen. Xi nennt das „Sozialismus mit chinesischen Charakteristiken für ein neues Zeitalter.“

Was Mao als junger Kommunist in den Schriften des deutschen Philosophen fand, passte nicht zur Lage im China der 1930er-Jahre – deshalb machte er es kurzerhand passend. Es begann schon mit den Grundannahmen: Marx zufolge sollte die Revolution von den Arbeitern in den Städten ausgehen, doch China war zu dieser Zeit noch gar nicht industrialisiert und eine fast reine Agrargesellschaft. Mao legte also fest, dass die Bauern die Umwälzung herbeiführen sollten. Erst dann sollte die kommunistische Regierung die Industrialisierung organisieren. Mao war im weiteren Verlauf ein besonderer Freund der bei Marx entlehnten Annahme, dass die Gesellschaft unvereinbare Gegensätze ausfechten muss. Unter diesen Vorzeichen hetzte er gegen Ende seiner Herrschaft die Jugend gegen Lehrer, Eltern und Fachleute auf.

Spätere Versuche, Marx für die aktuelle chinesische Situation passend zu machen, wirken ebenso bemüht. So hat Xi Jinping aktuell den politischen Slogan vom „chinesischen Traum“ ausgegeben. Das ist eine mächtige Idee, doch sie klingt mehr nach Selbstverwirklichung im amerikanischen Stil als nach Lenin und Mao. Dass bei den vielen Verdrehungen der Worte sozialistischer Vordenker die totale Beliebigkeit ausbricht, stört in China keinen. Spätestens seit Deng Xiaoping gilt eine flexible Denkweise als Tugend. Dieser hatte den Kapitalismus und die Marktwirtschaft dreist zu wertvollen Instrumenten für den Aufbau des Sozialismus erklärt. Und während die 90 Millionen Parteimitglieder tatsächlich die Werke Maos, Dengs und Xis studieren (müssen), hören die normalen Leute längst weg, wenn die Führung mal wieder irgendwelche Denker zitiert.

Künstler Wu meint, dass es Marx’ Heimat gut zu Gesicht stehen würde, sich der Bedeutung ihres größten Sohnes für die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft bewusst zu sein. Wu hat sich viele Gedanken darüber gemacht, wie er das ausdrückt. „Die Statue zeigt einen Marx, der vorangeht, der die Dinge vorantreibt.“ Ihre Höhe von 5,50 Metern symbolisiert den Geburtstag am 5. Mai. Der Stil lehnt sich laut Wu an den „westlichen Realismus“ an, der zu Marx‘ Zeiten vorgeherrscht habe und kombiniere ihn mit einem chinesischen Impressionismus.

Ob das den Betrachtern auffallen mag oder nicht – dem Tourismus dürfte das Projekt allemal nützen. Trier taucht in diesen Wochen auf chinesischen Reisewebseiten ganz oben bei den Tipps für Europatouren auf. Fernost entdeckt die Moselstadt neu – dank ihres berühmtesten Sohnes, Karl Marx.

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