Der Kampf gegen Bausünden beginnt

Berlin/Saarbrücken · Eine Studie der Berliner Hochschule „Hertie School of Governance“ hat ergeben, dass öffentliche Großprojekte in Deutschland im Schnitt 73 Prozent teurer ausfallen als geplant. Über die wichtigsten Gründe dafür hat SZ-Redakteur Thomas Schäfer mit Prof. Jobst Fiedler, einem der Autoren der Studie, gesprochen.

 Wahrzeichen, die zu Mahnzeichen werden sollen: Beim Bau der Elbphilharmonie, des Berliner Flughafens und des Vierten Pavillons ist vieles schiefgelaufen. Fotos: dpa (2)/Dietze

Wahrzeichen, die zu Mahnzeichen werden sollen: Beim Bau der Elbphilharmonie, des Berliner Flughafens und des Vierten Pavillons ist vieles schiefgelaufen. Fotos: dpa (2)/Dietze

Seit einer gefühlten Ewigkeit wird im Saarland über das "Millionengrab" Vierter Pavillon gestritten. Ursprünglich hatte die frühere CDU-Regierung den Museumsanbau in Saarbrücken mit 12,6 Millionen Euro veranschlagt. Zuletzt rechnete man mit Gesamtkosten von 39 Millionen. Oder das kernsanierte Hochhaus der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) an der Stadtautobahn: Auf über fünf Millionen Euro summieren sich die Mehrkosten Schätzungen zufolge inzwischen, ohne dass auch nur ein einziger Student das Gebäude bislang betreten hätte.

Deutschlandweit sind es vor allem drei Dauer-Pannenprojekte, die das Grundvertrauen der Bürger, dass der Staat Großes kann, empfindlich erschüttert haben. Der neue Hauptstadtflughafen BER: mindestens 3,4 Milliarden teurer als ursprünglich kalkuliert, Eröffnung zum vierten Mal verschoben. Stuttgart 21: der Kostenrahmen um inzwischen knapp vier Milliarden Euro gesprengt. Und das neue Wahrzeichen des Hamburger Hafens, die Elbphilharmonie, steht bisher vor allem für Planungspfusch und Chaos am Bau.

Wenn es nach Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU ) geht, soll damit jetzt Schluss sein. Das erklärte Ziel lautet "mehr Kostenklarheit, Transparenz und Perfektion". Wie das funktionieren soll, darüber haben sich 30 Experten einer Reformkommission Gedanken gemacht. Gestern stellten sie ihren Abschlussbericht vor, die Bestandsaufnahme der Experten liest sich verheerend. "Viele Großprojekte halten den Kosten- und Terminrahmen nicht ein und weisen deutliche Anzeichen für unwirtschaftliche Verfahrensweisen auf", heißt es da. Der Mängel-Katalog ist lang: Baukosten würden aus politischen Interessen zu niedrig angesetzt. Die Planung sei zu oberflächlich - zum Teil werde mit dem Bau schon begonnen, bevor sie überhaupt abgeschlossen sei. Risiken würden ausgeblendet oder zumindest nicht im Projektbudget berücksichtigt. Bauaufträge gingen oft an den billigsten Bewerber. Unter den Projektpartnern herrsche häufig Misstrauen und Streit.

Die Kommission hat zehn Empfehlungen entwickelt, von denen Dobrindt vor allem vier am Herzen liegen. So sollen Dinge, die schiefgehen können und damit das Projekt teurer machen, von vorneherein im Haushalt eingepreist werden. Auch sollen Anreize die partnerschaftliche Zusammenarbeit befördern. Laut Dobrindt ist etwa denkbar, dass jemand einen Bonus bekommt, weil er auf eine Lücke in der Ausschreibung oder im Vertrag hinweist. Gibt es Streit, sollen die Projektpartner bessere Möglichkeiten haben, sich außergerichtlich zu einigen. Und: Neue digitale Instrumente sollen den Planern helfen, sich verschiedene Varianten vor Augen zu führen oder herauszufinden, wie sich eine Änderung am Entwurf an anderen Stellen auswirkt. Das Ganze soll einen "grundlegenden Kulturwandel" am Bau einleiten.

Die Vorschläge der Kommission werden jetzt in einen Aktionsplan gegossen, für den Dobrindt sich dann die Unterstützung seiner Kabinettskollegen sichern möchte. Denn vieles lässt sich nicht ohne gesetzliche Änderungen umsetzen, zum Beispiel im Haushalts- oder Vergaberecht. Einfach werde das nicht, sagt Thomas Bauer vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie voraus. "Da werden wir noch viele Aufgaben haben." Auch Bahn-Vorstand Volker Kefer geht davon aus, "dass jetzt die Umsetzung für die nächsten Jahre die wesentliche und zentrale Herausforderung darstellt". Die Reform der Großprojekte bleibt also selbst eine Riesen-Baustelle.

"Über- Optimismus und bewusste Täuschung machen vieles teurer"


Eine Studie der Berliner Hochschule "Hertie School of Governance" hat ergeben, dass öffentliche Großprojekte in Deutschland im Schnitt 73 Prozent teurer ausfallen als geplant. Über die wichtigsten Gründe dafür hat SZ-Redakteur Thomas Schäfer mit Prof. Jobst Fiedler, einem der Autoren der Studie, gesprochen.

Herr Fiedler, hat die öffentliche Hand das Bauen verlernt?

Jobst Fiedler: Sie konnte es mal besser. Wobei bestimmte Großvorhaben immer Schwierigkeiten gemacht haben. Dafür gibt es Gründe, die teilweise weltweit zu beobachten sind. Insgesamt neigen die Verantwortlichen, ob sie jetzt ein Museum in Saarbrücken oder die Elbphilharmonie in Hamburg bauen wollen, zu Über-Optimismus, Risiken werden also ausgeblendet. Dazu kommt bewusste Täuschung.

Sie meinen, Kosten werden kleingerechnet, um ein Projekt überhaupt in Gang zu bringen?

Fiedler: Ja, nach dem Motto: Wenn man mal angefangen hat, kann man es nicht mehr abbrechen. Doch es kann nicht sein, dass sich die Projekte finanziell so klein machen, dass sie unter der Tür durchkommen und erst später groß werden. Es gibt zwar Leute, die sagen, bestimmte Dinge wären nie entstanden, wenn man von vornherein die eigentlichen Kosten genannt hätte. Das halte ich aber nicht mehr für vertretbar. Die Infrastruktur in Deutschland ist teilweise so veraltet, dass für die Instandhaltung viel Geld gebraucht wird. Man stelle sich vor, das Geld , das die Elbphilharmonie oder der Berliner Flughafen mehr kosten, hätte man in Schulen oder Brücken stecken können. Deshalb ist es so lohnend, sich mit den Fehlern und Schwächen von Projekten zu befassen und Lösungen in Angriff zu nehmen.

Welche Lösungen gibt es?

Fiedler: Viele Projekte gehen ohne ausreichende Budgetierung für die enthaltenen Risiken ins Rennen. Die tauchen dann langsam, anscheinend völlig überraschend auf. Doch das ist nicht überall überraschend. Es braucht eine deutlich bessere Vorwegplanung, die auch Geld kostet und zum Ergebnis kommen kann, dass ein Vorhaben sehr teuer, vielleicht zu teuer wird.

Gibt es in den Verwaltungen genügend Fachleute für die komplexer werdenden Bauvorhaben?

Fiedler: Wir haben auch Kompetenzdefizite festgestellt, ganz eindeutig.

Meinung:
Kostenklarheit, Kostenwahrheit

Von SZ-Redakteur Thomas Schäfer

Es ist schön zu sehen, dass sich Minister Dobrindt auch mal mit etwas anderem als der albernen Maut beschäftigt. Zwar hatte sein Vorgänger Ramsauer die Idee, eine Expertengruppe zum Thema Großprojekte einzusetzen, um endlich der Frage auf den Grund zu gehen, warum so viele Bauvorhaben in den Sand gesetzt werden. Aber immerhin bleibt Dobrindt dran und das Thema damit im Fokus der Politik. Das ist dringend geboten. Deutschland und gerade das Saarland können und dürfen es sich nicht mehr leisten, massenhaft Geld auf schlecht geplanten oder mit zweifelhaften Methoden durchgedrückten Baustellen zu verschwenden. Dieses Geld fehlt für wirklich wichtige Dinge. Kostenklarheit und Kostenwahrheit bei öffentlichen Projekten fordert der Bund der Steuerzahler schon seit Jahren. Warum hat ihm niemand richtig zugehört?

 Jobst Fiedler

Jobst Fiedler

Zum Thema:

Elbphilharmonie: Der spektakuläre Bau im Hamburger Hafen sollte einmal 77 Millionen Euro kosten. Mittlerweile liegt die Summe bei mindestens 789 Millionen Euro - wegen unfertiger Planung, mangelnder Kontrolle und Chaos auf der Baustelle, wie ein Untersuchungsausschuss feststellte. Öffnen soll das Konzerthaus 2017. Flughafen BER: Das Vorzeigeprojekt ist vor allem wegen der mehrfach verschobenen Eröffnung zum Gespött geworden. Jetzt soll es im zweiten Halbjahr 2017 losgehen. Der neue Hauptstadtflughafen wird mindestens 5,4 Milliarden Euro kosten - einst waren zwei Milliarden Euro kalkuliert worden.Stuttgart 21: Es sind vor allem die Massenproteste der "Wutbürger", die die Tieferlegung des Bahnhofs in die Schlagzeilen bringen. Bei einer Volksabstimmung 2011 unterlagen die Gegner. Heute sind die Montagsdemos nur noch klein. Bleiben die Kosten : 1995 waren rund fünf Milliarden Mark vorgesehen, jetzt könnten es 6,5 Milliarden Euro werden. Die Eröffnung soll 2021 sein. dpa

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