Der doppelte Pflegenotstand

Der Pflege-Skandal in Elversberg ist kein Einzelfall. Wer sich in Deutschland umschaut, findet auch an anderen Orten Pflege-Skandale. Im Vorjahr zum Beispiel geriet ein Augsburger Pflegeheim ins Visier von Polizei und Staatsanwaltschaft. Offenbar hatte ein Mitarbeiter lange Zeit alte Menschen misshandelt und ihnen unerlaubt Psychopharmaka verabreicht

Der Pflege-Skandal in Elversberg ist kein Einzelfall. Wer sich in Deutschland umschaut, findet auch an anderen Orten Pflege-Skandale. Im Vorjahr zum Beispiel geriet ein Augsburger Pflegeheim ins Visier von Polizei und Staatsanwaltschaft. Offenbar hatte ein Mitarbeiter lange Zeit alte Menschen misshandelt und ihnen unerlaubt Psychopharmaka verabreicht. Solche Vorgänge seien natürlich völlig unentschuldbar, sagt der Präsident des Deutschen Pflegerates, Andreas Westerfellhaus, im Gespräch mit der SZ. Komplett ausschließen lassen sich solche Skandale aber nicht, so Westerfellhaus. "Auch bei der besten Personalausstattung wird man irgendwo schwarze Schafe finden, die sich kriminell verhalten."Da ist es gut zu wissen, dass der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) in den letzten Jahren wenigstens genauer hinschaut, was sich in den deutschen Pflegeheimen mit ihren insgesamt gut 700 000 Bewohnern tut. Bei der ersten großen Untersuchung im Jahr 2007 war die Empörung groß. Damals wurde zum Beispiel bekannt, dass rund jeder dritte Pflegebedürftige nicht genug zu essen und zu trinken bekam. Nach dem neuesten Prüfbericht, der Ende April erschien, hat sich die Lage zumindest etwas entspannt. "Die Tatsache, dass es insgesamt besser geworden ist, bedeutet aber nicht, dass es überall gut ist", hieß es dazu beim Spitzenverband der Krankenkassen. So muss es schon zu denken geben, dass 20 bis 40 Prozent der Demenzkranken in zentralen Bereichen wie Hilfe beim Essen, Schutz vor Wundliegen oder persönliche Zuwendung nur unzureichend versorgt werden.

Von "Pflegenotstand" will der MDK trotzdem nicht sprechen. Dabei ist der Begriff zum Synonym für die Probleme im Pflegesektor geworden. Nach Angaben des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste fehlen in Deutschland schon jetzt etwa 30 000 Pflegekräfte. Und der Bedarf wird weiter steigen. Erhielten im Jahr 2009 noch 2,27 Millionen Pflegebedürftige Leistungen über die gesetzliche Pflegekasse, so werden es im Jahr 2030 schon fast 3,3 Millionen sein. Dabei erfordert die wachsende Zahl der Demenzkranken einen besonders hohen Betreuungsbedarf.

Die aktuelle Pflegereform, die im kommenden Jahr in Kraft treten soll, hält dafür nur einige wenige Linderungen bereit. Zwar sind Leistungsverbesserungen für Demenzkranke eingeplant, aber nur im ambulanten Bereich. Die Pflegeheime gehen leer aus, obwohl dort inzwischen mehr als zwei Drittel aller Demenzkranken leben. Durchschlagende gesetzliche Maßnahmen sind in dieser Wahlperiode nicht mehr in Sicht, nachdem eine Neuregelung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs von der Bundesregierung auf die lange Bank geschoben wurde. Dabei sollen nicht mehr fast ausschließlich die körperlichen Gebrechen der Pflegebedürftigen eine Rolle spielen, sondern der Grad ihrer Selbstständigkeit.

Für Pflegerats-Chef Westerfellhaus hat der Pflegenotstand einen doppelten Wortsinn. In den Pflegeheimen gebe es zu wenig Fachpersonal, aber auch zu wenig begleitendes Personal, an das sich Pfleger in Krisen-Fragen wenden könnten. "Hohe physische wie psychische Belastungen in der Versorgung können Skandale in Pflegeheimen ganz sicher nicht rechtfertigen. Aber sie werden dadurch begünstigt", meinte Westerfellhaus. Unter Pflegenotstand verstehe er daher auch, "dass es um die Not der Pfleger selber geht".

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