Martin Schulz Der brutale Fall eines Heilsbringers

Berlin · Die Partei rebellierte gegen Martin Schulz – und so musste er nach dem SPD-Vorsitz auch das Außenamt abschreiben. Jetzt ist Heiko Maas für den Top-Job im Gespräch.

 Die bundespolitische Karriere von Martin Schulz ist beispiellos: Aus dem Nichts belebte der Mann aus Würselen eine zermürbte SPD wieder. Nach nur einem Jahr wurde aus dem gefeierten Messias der Buhmann der Genossen.

Die bundespolitische Karriere von Martin Schulz ist beispiellos: Aus dem Nichts belebte der Mann aus Würselen eine zermürbte SPD wieder. Nach nur einem Jahr wurde aus dem gefeierten Messias der Buhmann der Genossen.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Martin Schulz hat seit der Wahl schon viele Bomben gezündet. Die meisten davon waren Selbstzerstörer. Am Freitag, 14.14 Uhr, folgte per Mail die wohl letzte in seiner kurzen bundespolitischen Karriere: „Daher erkläre ich hiermit meinen Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung und hoffe gleichzeitig inständig, dass damit die Personaldebatten innerhalb der SPD beendet sind.“ Die Erklärung markiert das Ende des Möchtegern-Außenministers Martin Schulz. Der einstige Superstar der SPD rückt nun als einfacher Abgeordneter ins Glied.

Es waren Mails wie die Folgende, die dem 62-jährigen Mann aus Würselen politisch das Genick brachen: „Wenn Schulz Außenminister wird und den Parteivorsitz abgibt, dann ist er für mich erledigt – total. Dann ist er nur auf einen Posten aus. Unglaublich.“ Das schrieb ein einfacher Berliner Genosse. Tausende solcher Mitteilungen gingen bei der Partei ein, seit Schulz am Mittwoch nach dem Amt von Sigmar Gabriel gegriffen hatte. Und damit erneut ein Versprechen brach, nach seiner Ankündigung, keine neue große Koalition zu machen. Nämlich unter keinen Umständen unter Angela Merkel Minister zu werden.

Dass er gleichzeitig auf den Parteivorsitz verzichtete und Andrea Nahles zur Nachfolgerin ausrief, machte die Sache noch schlechter. Denn so enttäuschte er auch noch jene, die auf ihn als Parteichef gesetzt hatten. Im März 2017 bei einem Parteitag sogar mit einem Ergebnis von 100 Prozent. Damals wurden stolz Transparente mit der Aufschrift „Jetzt ist Schulz“ geschwenkt. „Er hat sich gegen die Partei entschieden“, sagte am Freitag ein Abgeordneter aus dem Norden. Jetzt ist Schluss.

In der Führung hatte es schon lange Bedenken gegen Schulz‘ Ambitionen auf das Außenamt gegeben; schon vor dem Sonderparteitag im Januar hatte man vergeblich auf ihn eingeredet, seinen Verzicht darauf zu erklären. Umso überzeugender könne er für die Groko werben. Doch Schulz zeigte schon während der Verhandlungen übergroßes Interesse an dem Job. Dass er dafür Sigmar Gabriel opfern musste, nahm er ungerührt hin. Zwischen beiden bestand ohnehin keine Freundschaft mehr.

Schon am Mittwoch in der Bundestagsfraktion wurde Schulz‘ Personalidee mit eisiger Kälte quittiert. Und über die Partei ging ein regelrechter Shitstorm nieder. In der Führung wuchs der Eindruck, dass Schulz‘ Entscheidung womöglich der entscheidende Punkt für das Scheitern der Groko in der anstehenden Urwahl werden könnte. „Das wäre letal für unsere Partei“, so ein führender Genosse. Vor allem aus Nordrhein-Westfalen, dem wichtigsten Landesverband und Schulz‘ Heimatregion, wurde berichtet, dass der Unmut groß sei. Und Druck auf Schulz ausgeübt, bis der einlenkte.

Klar ist, dass das Außenamt trotzdem bei der SPD bleibt. Das ist ausverhandelt. Wer es wird, ist nun hingegen völlig offen und wird wohl erst nach Bekanntgabe der Ergebnisse des Mitgliederentscheides endgültig geklärt. Eine Variante könnte Heiko Maas sein, der bisherige Justizminister. Auch wenn er gestern – ganz loyal – Schulz’ Rückzugsentscheidung „großen Respekt“ abgewinnen konnte. Im neuen Kabinett sollte Maas eigentlich Arbeit und Soziales machen, doch dafür stünde dem Vernehmen nach auch Hubertus Heil bereit. Der Sprecher der Parteirechten, Johannes Kahrs, warb gegenüber unserer Redaktion für den Verbleib von Amtsinhaber Sigmar Gabriel, der „ein sehr guter Außenminister“ sei. „Alles andere würde ich jetzt nicht mehr verstehen.“ Doch damit stand Kahrs gestern ziemlich allein. Gabriel hat ohnehin nur noch wenige Freunde in der SPD und die letzten wohl am Donnerstagabend vergrault. Da gab er in seiner Wut ein Interview, in dem er Schulz Wortbruch vorwarf, der Parteiführung Stillosigkeit und auch noch persönlich wurde. Seine Tochter habe ihn getröstet, jetzt habe er mehr Zeit mit der Familie, das sei doch „besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht“.

Das fand ein prominenter Abgeordneter auf Anfrage „allertiefste Schublade“ und sagte: „Gabriel ist damit endgültig raus“. So denken viele. „Er hätte sein Ego nur einen Tag lang länger unter Kontrolle halten müssen“, hieß es. „Kann er eben nicht.“ Kritisiert wurde auch, dass Gabriel, offenbar aus Trotz, zunächst etliche Außenminister-Termine abgesagt hatte. Für die Opposition war das alles ein gefundenes Fressen. „Die Partei, die die Worte sozial und demokratisch im Namen trägt, zeigt ein kaltes, brutales Gesicht“, sagte Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch unserer Redaktion und ergänzte genüsslich: „So schnell geht es von 100 auf null.“ Satiriker Martin Sonneborn twitterte: „Ist das noch die SPD oder schon die #Partei “. Die designierte SPD-Chefin Andrea Nahles versuchte mit einer eiligen Erklärung, die Lage etwas zu beruhigen: „Ich gehe davon aus, dass wir uns jetzt voll und ganz auf die inhaltliche Debatte konzentrieren.“ Das hoffte auch Saar-SPD-Chefin Anke Rehlinger. Es wirkt durchaus wie eine flehentliche Bitte.

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