Daumen hoch – statt Mittelfinger

Eines vorneweg. Ja, der ausgestreckte Mittelfinger, der seit Freitag die Medien umtreibt, ist auch an diesem Samstag in Saarbrücken zu sehen.

 Von seinem runden Podest aus warf Peer Steinbrück Bundeskanzlerin Angela Merkel vor, das Land im „Kreisverkehr“ zu lenken. Foto: B&B

Von seinem runden Podest aus warf Peer Steinbrück Bundeskanzlerin Angela Merkel vor, das Land im „Kreisverkehr“ zu lenken. Foto: B&B

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Doch nie allein. Als Peer Steinbrück um kurz nach 15 Uhr vor die Zuhörer auf dem Saarbrücker Schlossplatz tritt, nimmt er den Zeigefinger hinzu, formt ein Victory-Zeichen. Eine kleine Kostprobe Steinbrück'scher Ironie nach dem Wirbel um die Bilder-Serie im Magazin der "Süddeutschen Zeitung". Aber wie sagt der SPD-Kandidat später? An einem Wahlkampf ohne Satire sei ihm "wenig gelegen". Und er versichert: "Mit mir wird es nie langweilig."

Damit das auch bei Steinbrücks dutzenden Veranstaltungen auf deutschen Plätzen so bleibt, hat die Partei ihm ein Format auf den Leib geschneidert. Ein Moderator (in Saarbrücken der SPD-Bürgermeister aus dem schwäbischen Rudersberg, Martin Kaufmann), der ihm Fragen stellt, die Zuhörer zuvor auf Zetteln formuliert haben. Ein rundes Podest mit einem kleinen Stehtisch inmitten einer Arena aus Biertischen, wo der Kandidat umhergehen, frei sprechen und gestikulieren, sich in alle Richtungen wenden kann.

Hier erkundigt er sich bei einer Zuhörerin direkt nach ihrer Automarke, um die Folgen einer Kfz-Maut zu erklären, dort fragt er einen, der den "Steinbrück-Finger" zeigt, scheinbar streng: "Was war das denn für ein Zeichen?" Locker, selbstironisch. Der 66-Jährige zitiert gern Fernseh-Größen längst vergangener Tage, von Peter Frankenfeld bis Werner Höfer - die Showmaster-Legende Hans-Joachim Kulenkampff erwähnt er gleich zwei Mal. Bei letzterem könnte er sich die charmant-lockere, kokett-freche Art abgeschaut haben.

Bei den 1200 Zuschauern, die nicht alle unter dem runden Zeltdach Schutz vor dem Saarbrücker Dauerregen finden, zieht das. In Stimmung gebracht hat sie die "Bayou Street Beat & Brass Band" mit fetzigem New-Orleans-Jazz. Und die Schlüsselwörter des SPD-Wahlkampfs haben die vier Direktkandidaten der Saar-SPD bereits geliefert: "Stillstand" in der Frauenpolitik hat Elke Ferner (Saarbrücken) ausgemacht, David Lindemann (Homburg) eine Solidarrente gefordert, Christian Petry (Homburg) sich über die "schlimme" Skepsis von Kanzlerin Angela Merkel gegenüber dem Adoptionsrecht für schwule Paare empört. Und Reinhold Jost (Saarlouis) nimmt mit seiner Klage darüber, dass die Infrastruktur vielerorts "wie Sau" aussehe, gleich die klare Sprache des Kanzlerkandidaten vorweg. Viele in der Saar-SPD haben lange relativ offen mit dem eher konservativ gestrickten Peer Steinbrück gefremdelt, jetzt ruft ihm Landeschef Heiko Maas zu: "Wir stehen Seite an Seite mit Peer Steinbrück", und ermuntert ihn: "Hau rein".

Doch Steinbrück beginnt sachlich, lässt sich viel Zeit für die Eingangsfrage zur Euro-Krise, wirbt eindringlich für die Solidarität mit den Krisenländern, geht dabei weit zurück in die Vergangenheit, als das im Krieg geschlagene Deutschland Hilfe bekam. "Deutschland wird diesen Kontinent zusammenhalten müssen." Die Euro-Krise sei keine reine Staatsschuldenkrise, wie Angela Merkel analysiere, sondern auch eine Bankenkrise. Die Krisenländer müssten ihre Strukturen reformieren, aber sie bräuchten auch "Wind unter den Segeln", wirtschaftliche Impulse. In der Jugendarbeitslosigkeit Südeuropas stecke "nackter sozialer Sprengstoff". Die Hilfe will er zum Teil mit Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer finanzieren. Er verspricht, sie als Kanzler in Brüssel wieder auf die Tagesordnung zu bringen.

Je länger er redet, desto direkter geht er die Kanzlerin an. Empört sich über deren Vorwurf, die SPD sei europapolitisch total unzuverlässig, wo die Partei Merkel doch bei der Euro-Rettung wiederholt zur Mehrheit verholfen habe. Generell wirft er ihr vor, keine Richtlinien vorzugeben, nur abzuwarten, keinen "Plan" zu haben. Er vermisst "Peilung, Wegweisung", spottet über die "folgenlosen Gipfel" im Kanzleramt. Andere Kanzler hätten ihr Amt für eine wichtige Sache riskiert, selbst die CDU-Ikone Helmut Kohl lobt er hier. Merkel dagegen unterfordere die Wähler und lenke das Land im "Kreisverkehr".

Er will es aus dem "Stillstand" führen. Die Energiewende sei das "große Desaster im Politikmanagement der letzten Jahrzehnte", in der Pflege brauche das Land 120 000 neue Fachkräfte, die besser bezahlt werden müssten. Mehr Geld will er in Bildung, in Kitas und Ganztagsschulen, in die Infrastruktur stecken, den Staat entschulden, die Kommunen besser ausstatten - und dafür "einige Steuern für einige" erhöhen. Die Solidarrente von 850 Euro, verspricht er einer Fragestellerin, "ohne schuldhaftes Zögern" einzuführen. Und in der NSA-Abhöraffäre würde er nicht einen Minister wie den "Riesenstaatsmann Friedrich" vorschicken. Ein Kanzler müsse direkt mit den USA über die Affäre sprechen, dürfe Washington keinen "Persilschein" ausstellen.

Ob er ausschließen könne, dass er nach vier Jahren an der Regierung "so unverbindlich" sei wie Merkel, will jemand wissen. Steinbrücks lapidare Antwort: "Ja". Am Ende, nach rund einer Stunde und minutenlangem Applaus, geht beim Gruppenbild mit den vier Wahlkreiskandidaten doch noch mal ein Finger hoch - es ist Steinbrücks Daumen.

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