Ein Jahr danach Das Verbrechen, das Freiburg veränderte

Freiburg · 16. Oktober 2016: Der Fall einer getöteten Studentin erschüttert die Republik. Noch ein Jahr später trägt die Stadt an den Folgen. Und Hussein K. steht vor Gericht.

 Hier geschah es, vor einem Jahr: Am Ufer der Dreisam wurde die 19-jährige Studentin getötet. Am Tatort legten Trauernde Blumen und Kerzen nieder.

Hier geschah es, vor einem Jahr: Am Ufer der Dreisam wurde die 19-jährige Studentin getötet. Am Tatort legten Trauernde Blumen und Kerzen nieder.

Foto: dpa/Patrick Seeger

Die Fotos vom Tatort mit Blumen, Kerzen, Abschiedsbriefen und einem rot-weißen Absperrband der Polizei gingen um die Welt. Sie wurden zum Symbol einer Stadt, die nach dem Mord an einer Studentin und der Festnahme eines jungen Flüchtlings unter Schock und in Trauer ist. Am Montag jährt sich die Tat in Freiburg zum ersten Mal. Sie hat die Universitätsstadt verändert. Und löste, noch vor dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember, überregional Debatten über die Flüchtlingspolitik aus.

Juristisch spielt der Fall inzwischen vor dem örtlichen Landgericht. Dort steht seit Anfang September der nach eigener Aussage aus Afghanistan stammende Hussein K. vor Gericht, wegen Mordes und schwerer Vergewaltigung. Er hat gestanden, die 19 Jahre alte Medizinstudentin am Ufer des Flusses Dreisam überfallen, vergewaltigt, gewürgt und getötet zu haben. Betrunken und bekifft sei er gewesen. Und er hat zugegeben, älter als 17 Jahre zu sein. Dieses Alter hatte er angegeben, als er im November 2015 ohne Papiere nach Freiburg kam und als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling in eine Pflegefamilie kam. Ein Urteil könnte im Dezember gesprochen werden. Am kommenden Dienstag soll der Pflegevater des Angeklagten gehört werden.

Ein Jahr ist vergangen seit dem Tag, an dem die Studentin Maria L. nachts von einer Party nach Hause radelt, als Hussein K. sie überfällt. Sie mehrfach vergewaltigt und am Fluss liegen lässt. Erst später wird die Vorgeschichte des Mannes bekannt, der 2014 in Griechenland zu zehn Jahren Haft verurteilt wird, frei kommt, untertaucht, und in Freiburg erneut zuschlägt. Auf seinem Weg fällt er immer wieder durch die Raster von Behörden, die in der Flüchtlingskrise überlastet sind. Der unglaubliche Fall heizt die Debatte um Zuwanderung, Behördenversagen und eine verunsicherte Bevölkerung an.

Politisch sind die Folgen der Tat im Freiburger Rathaus bis heute zu spüren. „Es ging und geht darum, in einer emotionalisierten Situation kühlen Kopf zu bewahren“, sagt Dieter Salomon, grüner Oberbürgermeister. Nach dem Mord stellte sich der Chef der 230 000-Einwohner-Stadt der Debatte und mahnte zur Besonnenheit. „Was mich entsetzt und ratlos gemacht hat, war das schiefe Bild von Freiburg, das bundesweit transportiert wurde“, sagt er. Galt die Stadt im Schwarzwald zuvor als Idylle, sei sie plötzlich „die kriminellste Stadt Deutschlands“ gewesen. „Frauenreisegruppen aus anderen Städten haben angefragt, in welchem Hotel sie in Freiburg sicher sind oder ob sie den Freiburg-Besuch absagen sollen“, sagt Salomon. „Da ist man fassungslos“. Freiburgs Bild bekam Risse. Die als linksliberal und weltoffen geltende Stadt wurde öffentlich als Beispiel einer verfehlten Flüchtlingspolitik genannt. Und das Sicherheitsgefühl der Bürger verschlechterte sich deutlich. „Es galt, zu handeln“, sagt Salomon. Die Ergebnisse sind inzwischen sichtbar. Die grün-schwarze Landesregierung schickt seit dem Mord dauerhaft mehr Polizisten nach Freiburg, die Stadt stellt zusätzlich kommunale Ordnungshüter ein. Auch die Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten wird ausgebaut, dunkle Ecken und gefährliche Gebiete sollen mit zusätzlicher Beleuchtung sicherer werden.

„Freiburg ist in der Realität angekommen“, sagt Polizeipräsident Bernhard Rotzinger. Eine erste Bilanz zeige, dass die Zahl der Straftaten in den vergangenen Monaten um mehr als zehn Prozent zurückgegangen sei. Nicht verringert habe sich aber das Engagement der Flüchtlingshilfe, sagt Freiburgs Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach (SPD). „Die Tat eines einzelnen hat nicht zu einem generellen Stimmungswandel geführt.“

Widersprüchlich ist das Bild, das von Hussein K. bleibt. Der junge Mann, der streng bewacht sowie in Handschellen und Fußfesseln in den Gerichtssaal geführt wird, nimmt ohne äußerliche Regung an dem Prozess teil. Einige Zeugen schildern ihn als sympathisch, andere als widerwillig und geprägt von Alkohol und Drogen. Es bleiben Fragen offen in diesem Fall, der ebenso rätselhaft ist wie unglaublich.

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