Das Loveparade-Drama geht weiter

Duisburg · So viele Tote, so viele Verletzte – und trotzdem kein Strafprozess nach dem Loveparade-Unglück. Das Landgericht Duisburg hat so entschieden. Es konnte nicht anders, sagt es. Es hätte gekonnt, sagt die Staatsanwaltschaft.

 Weiße Tulpen erinnern in der Duisburger Loveparade-Gedenkstätte an die Opfer. Der Strafprozess ist erst einmal geplatzt. Foto: dpa/Gambarini

Weiße Tulpen erinnern in der Duisburger Loveparade-Gedenkstätte an die Opfer. Der Strafprozess ist erst einmal geplatzt. Foto: dpa/Gambarini

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21 junge Menschen sterben und niemand wird vor Gericht zur Rechenschaft gezogen? Genau das zeichnet sich nach dem Loveparade-Unglück von 2010 ab. Vor zwei Jahren hatte die Staatsanwaltschaft Duisburg nach jahrelangen Ermittlungen zehn Mitarbeiter der Stadt und des Veranstalters Lopavent angeklagt. Die Vorwürfe: fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung. Über zwei Jahre lang prüfte das Gericht die Anklage . Gestern verkündete es nun, dass die Anklage nicht zugelassen wird. Ein Paukenschlag. Ein Tiefschlag.

Die Begründung hat es in sich. Auf 460 Seiten legt das Gericht dar, warum es so entschieden hat. Die Anklage stützt sich vor allem auf ein Gutachten des britischen Panikforschers Keith Still. Dieses leidet nach Ansicht des Gerichts jedoch an "gravierenden inhaltlichen und methodischen Mängeln" und sei daher "nicht verwertbar". Die Vorwürfe der Anklage könnten mit dem Gutachten nicht bewiesen werden. Eine Verurteilung der Angeklagten sei nicht zu erwarten. Damit entfällt aber eine wesentliche Voraussetzung für eine Hauptverhandlung.

Entsetzen und Empörung auf Seiten der Angehörigen der Toten. "Das ist ein Justizskandal", sagt Julius Reiter, der rund 100 Betroffene vertritt. Er spricht von einer "Bankrotterklärung der Justiz". "Für alle Beteiligten ist das eine Katastrophe", sagt die Nebenklage-Vertreterin Bärbel Schönhof. Ihre Mandanten seien "extrem traumatisiert". Bestürzt reagiert auch ein Vater, der bei der Katastrophe seine Tochter verlor: "Ich fühle mich retraumatisiert, das wirft mich einfach wieder auf den Stand der Dinge von 2010 zurück", sagt Manfred Reißaus. "Es hat uns aufgebaut, dass wir gewartet haben als Eltern, dass mal eine Verhandlung stattfindet." Jetzt hätten er und viele andere das Vertrauen in die Behörden komplett verloren.

Rückblick: Die Loveparade in Duisburg war als einer der Höhepunkte im Jahr 2010 geplant, in dem das ganze Ruhrgebiet Kulturhauptstadt Europas war. Um so größer das Entsetzen, als es zu dem Unglück kam. Zu viele Menschen hatten sich am späten Nachmittag am Ein- und Ausgang des Veranstaltungsgeländes gedrängt. 21 Menschen wurden erdrückt, mehr als 650 verletzt. In seinem Beschluss kritisiert das Gericht das Gutachten des Panikforschers scharf. Es beantworte nicht, aus welchen Gründen es zu den tragischen Ereignissen kommen konnte. Gegen den Gutachter bestehe außerdem die "Besorgnis der Befangenheit". Unter anderem habe Still in Vorträgen behauptet, die Daten für das Genehmigungsverfahren seien manipuliert gewesen, ohne dass er dies begründet oder belegt habe. Auch habe er sich in Vorträgen und einem Fachbuch nach Vorlage des Gutachtens auf bestimmte Unglücksursachen und Ergebnisse festgelegt.

Die Staatsanwaltschaft Duisburg weist die Kritik zurück und will mit einer Beschwerde beim Oberlandesgericht erreichen, dass es doch noch einen Strafprozess gibt. Als "nicht nachvollziehbar und rechtsfehlerhaft" bezeichnet die Behörde die Entscheidung des Gerichts. Die Kammer hätte sich bei Zweifeln am Gutachten "einen zweiten Gutachter" beauftragen können. Das sei gängige Praxis.

Die Richter wiederum betonten, genau dies sei ihnen gesetzlich untersagt. Gerichtspräsident Ulf-Thomas Bender lässt durchblicken, dass er die Enttäuschung der Opfer verstehen kann. Alle hegten die Erwartung, dass die "Verantwortlichen zur Rechenschaft" gezogen werden. Juristisch sei der Beschluss seiner Kammer aber unumgänglich gewesen. Über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft entscheidet nun das Oberlandesgericht Düsseldorf. Die Bearbeitung wird voraussichtlich mehrere Monate in Anspruch nehmen.

 „Ich leide mit den Angehörigen“: Duisburgs OB Sören Link. Foto: dpa

„Ich leide mit den Angehörigen“: Duisburgs OB Sören Link. Foto: dpa

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Zum Thema:

Rückblick24. Juli 2010: Die Loveparade endete in einer Katastrophe mit 21 Toten und 652 Verletzten. 27. Juli 2010: Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU ) nennt Rücktrittsforderungen gegen ihn nachvollziehbar, er bleibt aber im Amt.18. Januar 2011: Die Staatsanwaltschaft Duisburg nimmt Ermittlungen gegen den Polizei-Einsatzleiter sowie Mitarbeiter der Stadt und des Veranstalters auf. 12. Februar 2012: Die Duisburger stimmen mit großer Mehrheit für die Abwahl Sauerlands.10. Februar 2014: Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier des Veranstalters Lopavent.28. September 2015: Das Landgericht Duisburg weist in einem Zivilprozess die Entschädigungsklage eines Feuerwehrmanns zurück. Es zähle zu seinem Berufsrisiko, seelisch belastenden Situationen ausgesetzt zu sein, heißt es. dpa

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