Das einstige Tor zur Welt macht die Pforten dicht

Berlin. Vom Dach der Abfertigungshalle sieht es noch immer so aus, als lege sich Berlin seinem Flughafen Tempelhof zu Füßen. Jenem Bauwerk, das viele in der Hauptstadt verehren wie ihren Lebensretter. Häuserreihen ducken sich im Schatten der Hangars, vor denen die "Rosinenbomber" der Luftbrücke im 90-Sekunden-Takt landeten

 Der Flughafen Berlin-Tempelhof, gesehen aus einem Doppeldecker vom Typ Antonow AN-2. Foto: dpa

Der Flughafen Berlin-Tempelhof, gesehen aus einem Doppeldecker vom Typ Antonow AN-2. Foto: dpa

Berlin. Vom Dach der Abfertigungshalle sieht es noch immer so aus, als lege sich Berlin seinem Flughafen Tempelhof zu Füßen. Jenem Bauwerk, das viele in der Hauptstadt verehren wie ihren Lebensretter. Häuserreihen ducken sich im Schatten der Hangars, vor denen die "Rosinenbomber" der Luftbrücke im 90-Sekunden-Takt landeten. Vom einst größten Gebäude der Welt aus wirken selbst die Hochhäuser am Potsdamer Platz auf Normalmaß gestutzt. Tempelhof war in Berlin Sehnsuchtsort, Rettungsanker, Tor zur Welt - doch das ist Geschichte. Heute heben dort zum letzten Mal Flugzeuge ab. Berlin schließt seinen legendären Flughafen und keiner weiß, was aus Tempelhof wird, wenn sich die Kerosinschwaden verzogen haben. Auch Klaus Eisermann nicht. Er kann nicht mal sagen, was er selbst im nächsten Monat macht. Seit 45 Jahren arbeitet er auf dem Flughafen am Rande der Innenstadt. Ungezählte Male verfolgte er den Flug der Maschinen knapp über die Dächer, sah Stars und Präsidenten landen, aber auch wie die Fluggesellschaften wegen längerer Pisten nach Berlin-Tegel zogen, wie Tempelhof in die Jahre kam und schließlich Zankapfel wurde. Längst hätte der Mann in den Ruhestand gehen können, aber er führte weiter Besucher durch den Flughafen: "Es geht ums Bauwerk, nicht um die Pension."

Es ist ein Bau, wie er in Büchern unter Titeln wie "Größenwahn und Genialität" läuft, 1,2 Kilometer lang, 9000 Räume. Die "Mutter der modernen Flughäfen" nennt der britische Architekt Norman Foster Tempelhof, wo es schon 1923 Linienflüge gab. Das 1936 begonnene und nie richtig vollendete Flughafengebäude ist für ihn eins der größten Monumente der Architektur und zwar weltweit. Berlin, meint Foster, der dem im Zweiten Weltkrieg zerstörten Reichstag eine moderne Kuppel zurückgegeben hat, erleide einen ideellen wie kommerziellen Verlust.

Dass der Abschied von Tempelhof eigentlich schon Monate dauert, dass jahrelang um die Schließung gerungen wurde und dass die Berliner eine Lichterkette spannen wollen, bevor im Flughafen die Lichter für immer ausgehen - das hat vor allem mit den Jahren 1948/49 zu tun. Ein Jahr versorgten die West-Alliierten während der Blockade das eingeschlossene West-Berlin aus der Luft. Tag und Nacht flogen die "Rosinenbomber", von Trümmerbergen winkten die Kinder den kühnen Piloten zu, und manchmal warfen diese Schokolade an kleinen Fallschirmen herab. Das Denkmal für die Luftbrücke war denn auch das Symbol der Initiative, die das Aus mit einem Volksentscheid noch abwenden wollte, um den Flughafen für Geschäftsflieger offen zu halten - ohne Erfolg.

"Tempelhof bringt jährlich Verluste von zehn bis 15 Millionen Euro", sagt Flughafensprecher Eberhard Elie. Wie viel es kosten wird, den Flughafen nach der Schließung zu unterhalten, könne er nicht sagen.

"Wir wollen den gesamten Flugverkehr der Hauptstadtregion in Schönefeld konzentrieren", erklärt er. Voraussetzung sei, dass Tempelhof schließe, später auch Tegel, wo derzeit die meisten Berlin-Passagiere starten und landen. Vor den Toren der Stadt wird bereits für 2,2 Milliarden Euro der neue Hauptstadtflughafen Berlin-Brandenburg International aus dem Boden gestampft - direkt neben dem alten DDR-Zentralflughafen Schönefeld.

Vom Dach der Tempelhofer Haupthalle sind die Maschinen nur schwer zu erkennen, die schon heute in Schönefeld abheben. Klaus Eisermann blickt durch die getönte Brille noch einmal rüber bis zu den Türmen von Kirchen und Moscheen in Kreuzberg und Neukölln. Von dort kamen die Flieger immer. "Andere würden das als Perle ihrer Infrastruktur behandeln und nicht achtlos wegwerfen", zischt es durch seine Zähne.

Doch auch Eisermann weiß, dass Tempelhofs Tage gezählt sind. Das "T" des mannshohen Tempelhof-Schriftzugs auf dem Vordach rostet, an vielen Stellen bröckelt der Putz. Wer hier etwas bewegen will, braucht sehr viel Geld. Investoren für den denkmalgeschützten Komplex werden händeringend gesucht.

Viel lieber spricht der Berliner Senat deshalb von den Chancen, die das Flugfeld bietet, mit Wohnungsbau am Rand und einer große Parklandschaft im Zentrum. Wenige Tage vor der Schließung verkündet Baudirektorin Regula Lüscher zwar, es gebe Interessenten mit konkreten Projekten für Gelände und Gebäude, mehr wird aber nicht verraten. Wer demnächst die Schlüssel bekommt zur historischen Flughafenhalle, wird wohl noch lange offen bleiben. In den letzten Tagen ist der Andrang dort wieder etwas größer geworden: Doch es sind mehr Gäste mit Kameras als mit Koffern, die über das wellige Linoleum schlendern: Sie machen Abschiedsfotos von ihrem Flughafen Tempelhof. "Andere würden das als Perle ihrer Infrastruktur behandeln und nicht achtlos wegwerfen."

Klaus Eisermann, seit 45 Jahren auf dem Flughafen Tempelhof beschäftigt

 Die Deutsche Luft Hansa AG eröffnete am 6. April 1926 ihren Linienflugverkehr von Berlin-Tempelhof mit einem Fokker-Grulich Hochdecker über Halle-Erfurt-Stuttgart nach Zürich. Foto: dpa

Die Deutsche Luft Hansa AG eröffnete am 6. April 1926 ihren Linienflugverkehr von Berlin-Tempelhof mit einem Fokker-Grulich Hochdecker über Halle-Erfurt-Stuttgart nach Zürich. Foto: dpa

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