Clinton oder Trump?

Es war am Abend eines schwülen Julitages dieses Jahres, als Jerry Emmett den großen Bogen der Geschichte skizzierte. Im Wells Fargo Center in Philadelphia verkündeten Sprecher der 50 Bundesstaaten, wen sie zum Kandidaten küren werden. Für Arizona trat Jerry Emmett ans Mikrofon, geboren 1914, sechs Jahre bevor Frauen in den USA zum ersten Mal wählen durften. "Und 51 Stimmen für die nächste Präsidentin der USA, Hillary Rodham Clinton", rief Jerry Emmett und sah lächelnd zu, wie jubelnde Delegierte zwischen den Stuhlreihen tanzten. In dem Augenblick war so etwas wie der Hauch der Geschichte zu spüren. Er machte klar, welchen Meilenstein das Land am Dienstag erreichen könnte. Acht Jahre nach dem ersten Schwarzen im Weißen Haus die erste Madame President: Das Merkwürdige ist nur, dass das Historische im Wahlkampf Hillary Clintons nur am Rande Erwähnung fand.

Vielleicht liegt es daran, dass ihr große Worte einfach nicht liegen. Barack Obama sprach von "Hope" und "Change", Ronald Reagan vom "Morgen in Amerika", ihr Mann Bill von der "Brücke ins 21. Jahrhundert". Sie schmiede lieber Pläne, hat Hillary kürzlich gesagt. "Vielleicht ist das so eine Frauensache, weil wir Frauen gern Listen anlegen. Ja, das tun wir, wir schreiben auf, was wir uns vorgenommen haben, und streichen durch, was wir im Laufe des Tages erledigen." Maureen Dowd, die bissigste Kolumnistin der "New York Times", nennt Hillary die "Königin der Hausaufgaben". Es ist wohl die Wahrheit, wenn sie selbst über sich sagt, in all den Jahren im Dienste der Öffentlichkeit sei ihr das Dienen immer leichter gefallen als die Öffentlichkeitsarbeit.

Dabei hat sie immer wieder Geschichte geschrieben - das erste Mal 1969, auf dem Höhepunkt des Vietnamkriegs. Am Wellesley College hielt sie bei der Zeugnisübergabe eine viel beachtete Rede. Spontan antwortete sie auf ihren Vorredner, einen republikanischen Senator, der den "Protestzwang" jener Epoche kritisiert hatte. Ihre Generation habe die Pflicht zur Kritik und zum konstruktiven Protest, hielt sie ihm entgegen. Das Magazin "Life" widmete Hillary Rodham einen Bericht. Später war sie die erste Frau, die der Staat New York in den Senat nach Washington schickte. Sie war die erste Frau, die eine offene Vorwahl in einem US-Staat für sich entschied. Aber 2008 musste sie Obama den Vortritt lassen.

Dass acht Jahre darauf nichts zu spüren ist von Idealismus oder Aufbruchsstimmung, liegt vornehmlich an Donald Trump , der aus dem Wahlkampf eine vulgäre Show machte. Es liegt aber auch an Hillarys Schwäche, einer Mischung aus Misstrauen und Geheimniskrämerei. Im kleinen Kreis, bezeugen Freunde, könne sie warmherzig und charmant sein. Festgesetzt hat sich das Image einer Kontrollbesessenen, die kühl ist. David Maraniss, einer der großen alten Reporter der USA, spricht von einer Art progressivem Sendungsbewusstsein. "Der Zweck heiligt die Mittel, denn wir stehen auf der richtigen Seite der Barrikade", charakterisierte er das Credo der Clintons. Wer die beiden kritisiere, attackiere nach dieser Logik nur ihre noblen Absichten. Als der von den Republikanern dominierte Kongressausschuss zufällig auf den privaten Server stieß, den die Außenministerin Clinton auch für dienstliche E-Mails nutzte, verschanzte sie sich erneut im Bunker der Selbstgerechtigkeit. Und gab immer nur das zu, was nicht mehr zu leugnen war. Auch deshalb ist der Mangel an Glaubwürdigkeit ihr größtes Problem.

Schließlich die Nähe zum großen Geld. Nach ihrem Ausscheiden aus dem State Department hielt sie unter anderem drei Reden vor Bankern von Goldman Sachs , jeweils vergütet mit 225 000 Dollar, dem Vierfachen des Jahreseinkommens einer Durchschnittsfamilie. Allein zwischen 2007 und 2015 haben Bill und Hillary 139 Millionen Dollar verdient.

Warum sie nicht auf die Bremse trat? Die Buchautorin und Kolumnistin Maureen Dowd hat sich an einer Antwort versucht. Hillary, schreibt sie, vergleiche sich mit einer Bischöfin, die glaube, sich ein Leben auf dem Niveau ihrer wohlhabenden Gemeindemitglieder verdient zu haben - "dafür, dass sie sich Gott und guten Taten verschreibt".

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