Vor der Brexit-Abstimmung „Im Moment bleibt nur der Appell an die Vernunft“

Berlin · Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag sieht eine Verlängerung der Brexit-Frist skeptisch – und warnt vor einer „endlosen Hängepartie“.

 Gunther Krichbaum (CDU) hofft auf ein Ja des britischen Parlaments zum Brexit-Deal.

Gunther Krichbaum (CDU) hofft auf ein Ja des britischen Parlaments zum Brexit-Deal.

Foto: dpa/Zipi

Mit Bangen und Hoffen be­obachtet auch der Bundestag die für den heutigen Dienstag geplante Abstimmung in London über das Austrittsabkommen, das Großbritanniens Regierung mit der EU verhandelt hat. Der Europa-Ausschuss-Vorsitzende Gunther Krichbaum (CDU) appelliert an das Verantwortungsbewusstsein der britischen Parlamentarier.

Sind Sie optimistisch oder skeptisch, was die für den heutigen Dienstagabend geplante Abstimmung im britischen Unterhaus über den Brexit-Deal angeht?

KRICHBAUM Es sind schon wahre Chaostage in London. Im Moment bleibt nur der Appell an die Vernunft, es nicht zu einem ungeordneten Brexit kommen zu lassen.

Wie hoch ist dafür, was ja auch die EU vermeiden will, aus Ihrer Sicht das Risiko?

KRICHBAUM Momentan leider wohl höher als die Chance auf einen geordneten Brexit.

Ist die Verschiebung des Austritts eine Option?

KIRCHBAUM Es gibt jetzt verschiedene Szenarien für den Fall, dass Theresa May keine Mehrheit erlangt. Das reicht vom harten Brexit über eine Verschiebung bis zu einem erneuten Referendum. Für Letzteres sehe ich aber nur sehr geringe Chancen.

Wohl aber für eine Verschiebung um drei Monate, wie sie in Brüssel offenbar erwogen wird?

KRICHBAUM Die Zweijahresfrist nach dem Vertrag von Lissabon läuft am 29. März aus. Nur wenn es Einstimmigkeit im Europäischen Rat gibt, kann die Frist verlängert werden. Im Mai sind die Wahlen zum Europäischen Parlament. Auch das muss bei der Frage bedacht werden. Außerdem müsste klar erkennbar sein, mit welchem Ziel die Frist verlängert wird. Die Diskussion über den Brexit darf nicht zu einer endlosen Hängepartie werden. Diese bindet seit zwei Jahren erhebliche Kapazitäten. Wir beschäftigen uns in der EU ohnehin schon viel zu viel mit uns selbst. Andere Entwicklungen wie die Turbulenzen in Griechenland, der Namensstreit um Mazedonien oder der Ukraine-Konflikt verlangen ebenfalls unsere Aufmerksamkeit.

Das klingt eher nach Ablehnung einer Verschiebung.

KRICHBAUM Natürlich muss man alles tun, um einen harten Brexit zu vermeiden, der erhebliche Konsequenzen haben wird. Darüber sind sich viele noch gar nicht im Klaren. Von der Arzneimittelversorgung über Lieferketten etwa in der Automobilindustrie bis hin zu Zollfragen reicht die Bandbreite der Themen. Die irische Grenzfrage bleibt dabei zentral. Wenn man mit einer Fristverlängerung eine Verständigung zur irischen Grenze erreichen könnte, kann man darüber nachdenken. Es müsste für eine Verschiebung also klare Perspektiven und Erfolgsaussichten geben.

Wenn Sie vor dem Unterhaus in London als Gastredner aus Germany ein paar letzte Worte vor der Abstimmung sagen dürften, was würden Sie sagen?

KRICHBAUM Ich würde sagen, dass wir alle miteinander Verantwortung nicht nur für die tragen, die uns gewählt haben, sondern auch für die, die uns noch gar nicht wählen können, weil sie zu jung sind. Ich würde sagen: Denkt daran, wie ihr euer Land in die Hände der nächsten Generation übergebt. Welche Perspektiven lasst ihr jungen Menschen? Und um welche Perspektiven beraubt ihr sie? Und ich würde auch sagen: Wenn die Mitgliedschaft in der Europäischen Union eine Win-Win-Situation für beide Seiten ist, dann kann das Verlassen nicht dasselbe sein. Es gibt keinen Brexit ohne negative Folgen. Wir können die negativen Folgen nur abmildern.

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