Südamerika Caracas steuert dem völligen Chaos entgegen

Caracas · Die Hungerkrise hat die Ölmacht Venezuela fest im Griff. Präsident Maduro könnte dennoch wiedergewählt werden. Wichtigster Wahlhelfer: Leere Regale.

 Menschenschlangen vor einem Supermarkt: Die Lebensmittelversorgung wird immer prekärer.

Menschenschlangen vor einem Supermarkt: Die Lebensmittelversorgung wird immer prekärer.

Foto: dpa/Sopa Images

Ein Überblick über die Schlagzeilen der letzten Tage: „Terror in den Straßen – Tote bei Plünderungen“. „Venezolaner essen Hundenahrung“. „Fünf Venezolaner bei Flucht nach Curaçao ertrunken“. Im ganzen Land – einst das reichste Südamerikas und mit den größten Ölreserven der Welt gesegnet – kommt es seit Jahresbeginn verstärkt zu Plünderungen, da die Lebensmittelversorgung immer prekärer wird. Fast täglich gibt es Tote bei Unruhen wegen der Hungerkrise. Die Inflation galoppiert, die Preise für Lebensmittel explodieren – ebenso die Gewalt und Rechtlosigkeit. Im Internet kursiert ein Video, dass ein gutes Dutzend hungriger Männer zeigt, die auf die Weide einer privaten Ranch eindringen, eine Kuh jagen und sie mit Stöcken zu erschlagen versuchen.

Die sozialistische Regierung setzt auf das Prinzip Hoffnung – mehr Erdölförderung und steigende Ölpreise. Doch die Abhängigkeit, rund 95 Prozent der Exporte-Einnahmen kommen vom Öl, haben die Krise wie ein Brandbeschleuniger verschärft, denn der Preis fiel jahrelang. „Wir sind wieder nah der Förderung von 1,9 Millionen Barrel pro Tag“, sagt Ölminister Manuel Quevedo. „2018 wird das Jahr der Erholung.“ Ziel sei es, die Förderung auf über zwei Millionen Barrel zu steigern.

Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, die Menschen sind verzweifelt. In den letzten Tagen hat sich die Geld­entwertung so beschleunigt, dass der Monatslohn maximal ein paar Euro wert ist. Ausgerechnet der Hunger könnte Präsident Nicolás Maduro helfen, die Wiederwahl zu sichern. Es gibt Hinweise, dass die für Ende 2018 geplante Wahl vorgezogen wird. Um in den Genuss stark subventionierter Lebensmittelpakete zu kommen (mit Öl, Reis, Thunfisch, Milchpulver und Mehl), die es vielerorts noch gibt, muss man ein „Carnet de la Patria“ beantragen – und erklären, die Regierung zu unterstützen. Über dieses Carnet wurde bei den Regionalwahlen 2017 laut Berichten der Opposition zum Teil kontrolliert, ob man  wirklich den Sozialisten die Stimme gibt. Der Schriftsteller und Maduro-Kritiker Leonardo Padrón nennt es eine „Erlösung vom Hunger gegen Stimmen“.

Zudem will Maduro mit einer Kryptowährung, dem „Petro“, das Land aus den Fängen der Inflation befreien. Er soll mit Ölreserven abgesichert werden und damit versucht werden, Einfuhren etwa von Lebensmitteln besser bezahlen zu können. Doch Experten halten das Vorhaben für wenig aussichtsreich – denn was, wenn niemand den „Petro“ akzeptiert? Maduro nennt eine humanitäre Krise eine „Erfindung“ und ruft zum Kampf gegen einen ökonomischen Krieg des Auslands auf.

Dem Staatspräsidenten zur Hilfe kommt auch die Zerstrittenheit der Opposition. Viele Mitglieder kommen aus der Oberschicht, die per WhatsApp überteuerte Essenslieferungen nach Hause bestellt. Ex-Planungsminister Ricardo Hausmann, heute Professor in Harvard, bringt als letzten Ausweg eine militärische Intervention mit Hilfe des Auslands ins Spiel. Doch fast alle Experten halten das wegen der Stärke des Militärs für eine schlechte Idee: Dem Land drohe dann ein Gemetzel.

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