Bundesparteitag Liberale und Grüne Bitteres Rennen um Platz drei

Berlin · Die Grünen hoffen auf ein Wunder, die Liberalen grenzen sich von den Rechtspopulisten ab. Eine Woche vor der Bundestagswahl stimmen beide Parteien ihre Basis auf einen harten Kampf ein.

 Sachthemenverteidiger statt Schreihals: FDP-Chef Christian Lindner stellte beim gestrigen  Bundesparteitag der Liberalen die Inhalte seiner Partei in den Vordergrund.

Sachthemenverteidiger statt Schreihals: FDP-Chef Christian Lindner stellte beim gestrigen Bundesparteitag der Liberalen die Inhalte seiner Partei in den Vordergrund.

Foto: dpa/Ralf Hirschberger

(dpa) FDP-Chef Christian Lindner spricht ruhiger als sonst, zurückhaltender. Er ist an diesem Sonntag auf dem Sonderparteitag in Berlin, eine Woche vor der Bundestagswahl, ganz offensichtlich bemüht, die marktschreierischen Auftritte von Guido Westerwelle vor acht Jahren nicht zu wiederholen. Sach­themen stehen im Vordergrund seiner knapp einstündigen Rede. Nicht nur eines, wie bei Westerwelle, sondern viele Sachthemen: Europa und Europafeindlichkeit, Zuwanderung, Mieten, Schulen, Digitalisierung und auch die Entlastung der Bürger.

Die kampagnenartigen Attacken der Grünen, die sich zeitgleich für die entscheidende Woche rüsteten, lässt Lindner abtropfen. „Mögen die Grünen sich mit uns beschäftigen. Wir beschäftigen uns heute mit Inhalten.“ Die Grünen hätten angesichts der Umfragen ohnehin keinen Einfluss mehr auf das Rennen um Platz drei im künftigen Bundestag.

Mit dieser Meinung steht Lindner mit Sicherheit nicht alleine da. Dementsprechend verunsichert ist die Parteibasis der Grünen. Nur wenige Kilometer vom Parteitag der Liberalen entfernt, im früheren Gasometer Schöneberg, spricht Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt im Wahlkampf-Endspurt ihren Par­teifreunden und sich selbst vor allem eines zu: Mut. Denn für die Grünen wird es auf den letzten Metern schwer, am Sonntag wie erhofft ein zweistelliges Ergebnis einzufahren und doch noch als drittstärkste Kraft in den Bundestag einzuziehen. Sollte dies der Öko-Partei am 24. September gelingen, wäre dies in der Tat der „Überraschungscoup“, von dem Göring-Eckardt und Grünen-Spitzenmann Cem Özdemir in den verbleibenden Tagen träumen. Nach aktuellen Umfragen ist es eher ein Hoffen auf ein Wunder. Am Ende könnte es sogar passieren, dass die Grünen noch unter ihr mageres Ergebnis von 8,4 Prozent bei der Wahlschlappe 2013 fallen. Für die Liberalen könnte es ebenfalls kompliziert werden. Sollte es für Schwarz-Gelb reichen, müssten CDU und CSU 37 bis 38 Prozent holen und die FDP mindestens zehn. Und auch dann wäre es äußerst knapp. Doch die Union lässt derzeit nach. Über eine „Ampel“ von SPD, FDP und Grünen redet derzeit keiner mehr und „Jamaika“ mit Union, FDP und Grünen würde ein sehr schwieriges Bündnis, zumal sich bei den Grünen wieder Flügelkämpfe auftun würden.

Von denen ist bei den Grünen zumindest gestern kaum etwas zu spüren. Beim Drei-Stunden-Parteitag herrscht im Endspurt seltene Harmonie. Streit und Gegenanträge zum Wahlaufruf des Spitzenduos gibt es nicht. Das Signal: geschlossen, aber nicht verschlossen. Denn die Grünen wollen endlich wieder auch im Bund regieren. Das können sie nach den Umfragen aber nur in einem Bündnis mit den Liberalen und der Union. Das Problem: „Jamaika“-Begeisterung herrscht derzeit weder bei Grünen noch bei Liberalen. Natürlich attackieren Göring-Eckardt, Özdemir & Co. lautstark die Liberalen, die zeitgleich zum Kampf um Platz drei blasen. Aktuell liegt die FDP nämlich weiter leicht vor den Grünen, aber ebenfalls hinter den Linken und der AfD. Daher stehen sich Liberale und Grüne letztlich näher, als ihnen eigentlich lieb ist. Bleibt es bei den bisherigen Zustimmungswerten, könnten sie das gleiche Schicksal teilen: Entweder auf der Oppositionsbank landen oder mitregieren.

Als entscheidende Frage der letzten Woche vor der Wahl macht Lindner das Rennen um Platz drei aus. Darüber entscheidet sich, wer Oppositionsführer im künftigen Parlament wird. Und hier wird der FDP-Chef dann deutlicher. Er wolle nicht, dass die AfD mit „völkisch-autoritärem“ Gedankengut die Opposition im Bundestag anführe. Das habe Signalwirkung über das Parlament, ja über Deutschland hinaus, assistiert Generalsekretärin Nicola Beer. In den meisten Umfragen liegt die AfD derzeit mit zehn Prozent plus vor der FDP, die sich zwischen acht und zehn Prozent bewegt. Lindner nutzt das Thema Einwanderungspolitik, um die Liberalen scharf von der AfD abzugrenzen. Die FDP bemühe sich um eine Zuwanderungspolitik auf dem Boden internationalen Rechts. Trotzdem sei die FDP in die Nähe der AfD gerückt worden. Diese aber betreibe Abschottungspolitik mit fast schon rassistischen Zügen.

„Uns schadet der Vergleich FDP und AfD nicht“, sagt Lindner und versucht den Schwarzen Peter den Gleichmachern zuzuschieben: „Aber wer uns mit denen vergleicht, der verharmlost die Gefahr für unsere politische Kultur und die Liberalität die von den echten Feinden, nämlich der völkisch-autoritären AfD ausgeht.“ Bei der AfD steckt liberales Stimmenpotenzial. Nämlich bei jenen, die sich zu Zeiten von Parteichef Bernd Lucke, als die AfD vor allem europakritisch war, von der FDP ab- und der AfD zugewandt haben. Je weiter rechts die AfD agiert und je europakritischer die FDP argumentiert, umso größer sind die Chancen der Liberalen.

 Jetzt hilft nur noch Hoffnung: Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt spricht ihren  Parteifreunden auf den letzten Metern vor allem Mut zu.

Jetzt hilft nur noch Hoffnung: Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt spricht ihren Parteifreunden auf den letzten Metern vor allem Mut zu.

Foto: dpa/Soeren Stache

Am Sonntag vor der Bundestagswahl verzichten die Grünen auf allzu scharfe Angriffe, um mögliche Koalitionsgespräche nicht schon von vornherein unmöglich zu machen. Für Grünen-Spitzenmann Özdemir sind die Mitbewerber keine Feinde. Mit allen außer der AfD werde man reden. Göring-Eckardt stimmt die Basis jedenfalls bereits auf „verdammt schwierige Koalitionsgespräche“ ein. Und Özdemir zieht dafür zumindest Leitplanken: Ohne Klimaschutz und eine wertegeleitete Außenpolitik werde es mit den Grünen nicht klappen. Ansonsten, so Özdemir, gehe man „erhobenen Hauptes“ eben in die Opposition.

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