Berlin zweifelt an Abzug aus Afghanistan

Berlin/Kundus · Die Eroberung des früheren Bundeswehr-Standorts Kundus durch die Taliban hat die deutsche Politik geschockt. Jetzt steht der weitere Abzug deutscher Soldaten aus Afghanistan wieder infrage.

Die Eroberung der afghanischen Stadt Kundus durch die radikalislamischen Taliban hat in Deutschland eine Debatte über die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes am Hindukusch ausgelöst. Die Stadt war zehn Jahre lang von der Bundeswehr unter Beteiligung der Saarland-Brigade gesichert worden, ehe die deutschen Soldaten vor zwei Jahren von dort abzogen. Im 150 Kilometer entfernten Masar-i-Scharif und in Kabul sind allerdings noch insgesamt 830 Bundeswehrsoldaten zur Ausbildung und Beratung der afghanischen Armee stationiert. Bisher ist geplant, ab Anfang des Jahres 2016 alle Nato-Truppen aus der Fläche nach Kabul zurückzuziehen.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sagte, die Nato solle ihre Beschlüsse über die weitere Truppenstationierung nicht nach "starren Zeitlinien" treffen, sondern nach der aktuellen Sicherheitslage. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD ) nannte den Fall von Kundus ein "dramatisches Signal". Deutschland werde die Ausbildungs- und Beratungsmission für die afghanischen Streitkräfte auf jeden Fall bis Ende 2016 fortsetzen. "Dann muss man sehen, wie das nächste Jahr weiter verläuft und ob diese Beratungs- und Ausbildungsmaßnahmen weitergehen werden." Die Taliban hatten Kundus am Montag eingenommen. Gestern starteten die afghanischen Streitkräfte eine Gegenoffensive, auch die US-Luftwaffe war im Einsatz. Das Hauptquartier der Polizei und das städtische Gefängnis seien bereits zurückerobert worden, teilte das afghanische Verteidigungsministerium mit.

Die in Masar-i-Scharif stationierte Bundeswehr entsandte ein Team von Soldaten zur Erkundung nach Kundus. Diese sollten "Abstimmungsgespräche" mit der afghanischen Armee führen und dann zurückfliegen, sagte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums in Berlin. Das Entwicklungsministerium teilte mit, dass sich derzeit keine deutschen Mitarbeiter in Kundus aufhielten. Derweil steigt die Zahl von Flüchtlingen aus Afghanistan nach Europa. > e

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