"Beim Grundgesetz gibt es keinen Rabatt"

Aufatmen im Schloss Bellevue. Christian Wulff (Foto: dpa) hat mit seiner Bremer Rede zum 20. Jahrestag der Einheit bei Politikern und Medien überwiegend Lob geerntet. Doch die Debatte geht erst richtig los. Das zeigen erste Zuschriften an den Bundespräsidenten: "Der Islam gehört eben nicht zu Deutschland!", kann man dort neben Briefen voller Dank lesen

Aufatmen im Schloss Bellevue. Christian Wulff (Foto: dpa) hat mit seiner Bremer Rede zum 20. Jahrestag der Einheit bei Politikern und Medien überwiegend Lob geerntet. Doch die Debatte geht erst richtig los. Das zeigen erste Zuschriften an den Bundespräsidenten: "Der Islam gehört eben nicht zu Deutschland!", kann man dort neben Briefen voller Dank lesen. "Der Islam gehört zu Deutschland" - das Echo auf diese präsidentielle Feststellung mit großer Tragweite war bei den politischen Akteuren am Tag danach auch vorsichtig. Angela Merkel gab gewissermaßen den Ton vor. Das Bild des Islam sei in Deutschland stark durch die Scharia - das islamische Recht - sowie fehlende Gleichberechtigung von Mann und Frau bis hin zum Ehrenmord geprägt, sagte die Kanzlerin in Berlin. "Es gibt hier keine Toleranz gegenüber den Grundwerten unseres Grundgesetzes", zog sie klare Grenzen zum Fundamentalismus. Die Kanzlerin rief die Muslime in Deutschland auf, sich uneingeschränkt an den deutschen Werten und der Verfassung zu orientieren.

Meinungen zum Islam in Deutschland waren gestern auch aus den Reihen der FDP zu hören. "An den Stammtischen wird zum Islam sicherlich ganz anders gedacht", sagte Kultur-Staatsministerin Cornelia Pieper. "Da ist es wichtig, dass er dieses schwierige Thema setzt." Nach Beratungen des FDP-Präsidiums legt Generalsekretär Christian Lindner dann ebenfalls Wert auf klare Grenzen: "Beim Grundgesetz gibt es keinen Rabatt für religiöse Überzeugungen."

In der Praxis verläuft der staatliche Dialog mit dem Islam nach wie vor mühsam.

Nur einmal tagte bislang die Deutsche Islamkonferenz, mit der die Integration der in Deutschland lebenden Muslime verbessert werden soll. "Es gibt nicht ,den Islam' und 'die Muslime'" - hatte die Iranerin Hamideh Mohagheghi damals vor zu viel Erwartungen gewarnt. Zusammensetzung und Themen sorgen seitdem für Gezerre.

Wulff selbst ist sich auch nicht ganz sicher, ob seine Nennung des Islam im gleichen Atemzug mit den christlich-jüdischen Wurzeln des Landes auch in der Union mehrheitsfähig ist. "Das glaube ich nicht", vermutete er nach seiner Rede. Der Bundespräsident verwies auf die verbreiteten Ängste vor islamistischen Fundamentalismus: "Das ist ein Prozess, der jetzt lebhafte Debatten zur Folge haben wird."

Einen ersten Eindruck davon konnte sich Wulff gestern im Gästebuch auf seiner Homepage machen. Da schreibt zum Beispiel Michael Doncks aus Stolberg im Rheinland: "Es wäre begrüßenswert gewesen, wenn Sie als Christ auch die Einladung gesprochen hätten, wenn Muslime unsere Kirchen und Synagogen beachten und besuchen."

Bahri Gül aus Hannover zollt Wulff dagegen Dank: "Ich bin ein muslimischer Mitbürger in Deutschland, und zum ersten Mal habe ich von einem deutschen Politiker das Bekenntnis zum Islam in Verbindung mit Deutschland gehört." Ganz anders Anton Wladenburg: "Der Islam als Ideologie ist mit Deutschlands Kultur und Gesellschaftsordnung nicht zu vereinbaren, insofern gehört der Islam eben nicht zu Deutschland."

Ähnlich Peter Müller aus Bayern: "Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Ihre Rede zum ,Tag der deutschen Einheit' war eine glatte Themaverfehlung

- was, bitteschön, haben darin Muslime und das Thema Islam verloren?" Taner Pekdemir dagegen: "Ich möchte Ihnen zu dieser tollen Rede danken. Ich danke Ihnen, dass Sie uns als Teil dieser Gesellschaft sehen."

Lob und Kritik für Wulff kam gestern vom Hamburger Weihbischof Jochen Jaschke: Das war ein wichtiges Zeichen, dass der Bundespräsident den Muslimen die Hand reicht", sagte Jaschke gestern im Interview des Kölner Domradios. Zur Einheit gehöre die innere Einheit, auch mit der Gruppe der Muslime. Christen stünden im Dialog mit den Muslimen, mit denen sie sich durch den Glauben an Gott verbunden wüssten. "Ich möchte wirklich, dass sich die Muslime gut integrieren. Sie haben Religionsfreiheit bei uns. Aber das bedeutet doch nicht, dass wir unsere christliche Kultur hinten anstellen müssen", so der Weihbischof.

Verwundert über die Aussagen des Bundespräsidenten zeigte sich indes Islam-Kenner Peter Scholl-Latour. Zwar erkenne er dahinter eine ehrenwerte Absicht. "Aber wir sind kein muslimisches Land, wir haben eine abendländisch-christlich-jüdische Kultur, die mit dem Islam nicht identisch ist."

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