EU-Austritt London will Brexit nicht verschieben

London · Die Rufe nach einem späteren EU-Austritt der Briten werden lauter. Doch Premierministerin May bezweifelt, dass das die Blockade im Parlament lösen würde.

 EU-Ratspräsident Donald Tusk diskutiert beim europäisch-arabischen Gipfel in Scharm el Scheich mit Premierministerin Theresa May. Der Pole hält eine Verschiebung des Brexits für sinnvoll, doch die Britin will davon nichts wissen.

EU-Ratspräsident Donald Tusk diskutiert beim europäisch-arabischen Gipfel in Scharm el Scheich mit Premierministerin Theresa May. Der Pole hält eine Verschiebung des Brexits für sinnvoll, doch die Britin will davon nichts wissen.

Foto: AP/Francisco Seco

Als die europäischen Staats- und Regierungschefs gestern die Wüste im ägyptischen Scharm el Scheich verließen, sah die Lage in Sachen Brexit kaum anders aus als vor der Konferenz, an deren Rande auch Großbritanniens EU-Austritt Thema war: Niemand weiß, wie es mit der Scheidung von der Staatengemeinschaft weitergeht oder ob diese tatsächlich wie geplant am 29. März vollzogen wird.

Immerhin eine Erkenntnis gewannen die politischen Beobachter. Premierministerin Theresa May hat offenbar nie zuvor ein Billard-Spiel gesehen, geschweige denn, dass sie selbst jemals einen Queue in der Hand gehabt hätte. Nachdem Italiens Premier Guiseppe Conte einen Clip auf Twitter gepostet hatte, auf dem die ungeschickten Versuche der britischen Regierungschefin zu sehen waren, erntete die ohnehin als steif geltende May viel Spott und Häme in den sozialen Medien. Kritiker bewerteten die misslungene Billard-Partie als weiteren Beleg dafür, wie weit entrückt von der Realität sich die Premierministerin bewegt.

Nur kurz zuvor hatte May die eigentlich für diese Woche angesetzte Parlamentsabstimmung über den zwischen Brüssel und London ausgehandelten Austritts-Deal bis spätestens 12. März verschoben. Sie will sich so mehr Zeit verschaffen, um in den Gesprächen mit der EU weitere Zugeständnisse zu erreichen. Es geht insbesondere um den Backstop, der bei den Brexit-Hardlinern so ungeliebten Notfall-Lösung zur Vermeidung einer harten Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland. Doch hält May an ihrem Plan fest, blieben Unternehmen, Investoren, Bürgern und Regierungen dies- und jenseits des Ärmelkanals nur zweieinhalb Wochen, um sich auf die künftigen Bedingungen einzustellen. Und aus Brüssel ist zu hören, dass die britische Regierung bis zuletzt keinen Plan geäußert hat bezüglich eines mehrheitsfähigen Auswegs aus der Sackgasse.

Auch das Damoklesschwert eines chaotischen Ausscheidens ohne Abkommen schwebt damit weiterhin über der Insel und dem Kontinent, was wiederum die Diskussionen um eine Verschiebung des Austrittsdatums befeuert. Je weniger Zeit zum 29. März bleibe, desto größer sei die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk gestern, auch wenn es sich bei dieser Option weder um „unsere Absicht noch unseren Plan“ handele. Trotzdem: „Ich glaube, dass eine Verschiebung in der jetzigen Situation eine vernünftige Lösung wäre.“ Theresa May erteilte diesem Vorschlag unverzüglich eine Absage und betonte, dass ein Aufschub der Entscheidung „keinen Deal liefere“. Mehrmals verweigerte sie während der Pressekonferenz eine Antwort auf die Frage, welche der beiden Alternativen sie bei einer erneuten Ablehnung des Kompromisses im Parlament beschließen würde: Die EU ohne Vertrag zu verlassen oder um eine Verschiebung von Artikel 50 zu bitten? May bestand darauf, dass ein Abkommen in greifbarer Nähe sei. Darauf sollten alle Kräfte konzentriert werden.

Die europaskeptische Zeitung „Telegraph“ hatte zuvor berichtet, dass die britische Regierung erwägt, den Brexit um bis zu zwei Monate hinauszuzögern, um Rücktritte von Ministern zu verhindern, die einen ungeregelten Austritt ausgeschlossen sehen wollen. Ob May mit mehr Zeit wirklich eine Mehrheit im gespaltenen Unterhaus gewinnen kann, bleibt jedoch zweifelhaft. Zu zersplittert sind die Meinungen unter den Abgeordneten sowohl bei den Konservativen als auch in der Opposition in der EU-Frage. Der linksliberale „Guardian“ hatte derweil geschrieben, dass mittlerweile sogar zur Debatte stehe, die Übergangsperiode bis Ende 2020 durch eine Verlängerung der EU-Mitgliedschaft Großbritanniens zu ersetzen. In diesen Monaten solle dann laut anonymer Quellen in Brüssel neben dem Austrittsabkommen auch der Deal zu den künftigen Beziehungen verhandelt werden. In der derzeitigen politischen Realität gilt diese Option als äußerst unwahrscheinlich, und auch Downing Street wies die Spekulationen zurück. Beobachter vermuten aber, dass mit solchen Drohungen Druck auf die Brexit-Hardliner aufgebaut werden soll, dem jetzigen Deal zuzustimmen. Die Europaskeptiker fürchten, ein Hinauszögern des Austrittsdatums könnte das gesamte Projekt Brexit gefährden.

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