Aufregend wie ein Blind Date

Anny Hwangs Finger tanzen virtuos zehn Zentimeter über den Tasten, ihr schwarzes Haar fliegt nach rechts und links, vor und zurück, während sie Leidenschaft mimend die Augen rollt. Fast möchte man "Rachchmaninofff" hauchen wie Marilyn Monroe im Filmklassiker "Das verflixte siebte Jahr", wäre das Stück nicht ein luftiges Liedchen aus einer Demo-Konserve. "Man kann hier auch nur so tun, als ob . . .", sagt sie und lacht schallend auf. Das Instrument, das ausschaut wie ein Stutzflügel, ist ein elek tronisches Klavier , und als Anny Hwang den Flügeldeckel öffnet, präsentieren sich im Innern schnöde schwarze Lautsprecher-Membranen statt glänzender Saiten. "Solche Klaviere sind häufig in Hotels zu finden", erklärt die junge Pianistin. Ein leuchtend, denn daran kann man unter anderem mit Kopfhörern rund um die Uhr üben, ohne Schlafende zu wecken. Hier aber, in der Musikschule ihrer Mutter Christin Chun in Dudweiler, ist das sogenannte "Clavinova" nur eines von vielen Instrumenten - ein stattlicher "echter" Flügel ist freilich auch vorhanden. Zur Demons tration des elektronischen Klangs greift Anny Hwang im leuchtend roten Kleid dann doch noch richtig in die Tasten und spielt ein bisschen Haydn im Stehen - was für sie wohl in die Kategorie "klimpern" fällt.

 Klavier-Solistin Anny Hwang am E-Flügel in der Musikschule ihrer Mutter Christin Chun in Dudweiler. Foto: Rich Serra

Klavier-Solistin Anny Hwang am E-Flügel in der Musikschule ihrer Mutter Christin Chun in Dudweiler. Foto: Rich Serra

Foto: Rich Serra

Zeit für "ein bisschen klimpern" muss immer sein, meint sie, für gewöhnlich aber sind es mindestens vier bis fünf Stunden täglich, die sie am Klavier verbringt. Längere Pausen vom musikalischen Training machen sie zappelig, sagt sie: "Es ist wie Sport, wenn ich eine Woche nicht geübt habe, merke ich das sofort, dann fühle ich mich auch nicht wohl." Anny Hwang kennt es nicht anders: Zweifellos steckt das Klavier-Gen in ihr - und in die Rolle der Profi-Musikerin wuchs sie wie selbstverständlich hinein, auch die Mutter ist Pianistin. Seit sie drei Jahre alt ist, macht sie Musik. Ein Foto zeigt die kleine Anny mit voluminöser Geige - aber letztendlich entschied sie sich dann doch fürs Piano. "Musik war immer da in meinem Leben, man musste bei mir nichts künstlich erzwingen." Ein Kind, das freiwillig um fünf Uhr morgens aufstand, um vor Schulbeginn Klavier zu üben? Weil nachmittags die Hausaufgaben keine Zeit zum Musizieren ließen? "Ich wollte immer alles gut machen", erklärt Anny Hwang. Dabei wirkt sie so ganz und gar nicht streberhaft. Aber selbstbewusst. Und ehrgeizig. Große Neugier sei immer ihr Antrieb gewesen - auch beim Lernen in der Schule. "Kein Fach, das mich nicht interessiert hat." Sogar die Mathema tik. Diese wurde ihr von Vaters Seite, einem Ingenieur, quasi in die Wiege gelegt: "Man kann wirklich sagen, dass sie auch mathematisch überdurchschnittlich ist", bestätigt Yih Han Hwang, der es, wie Anny neckend einwirft, "gar nicht leicht hat mit seinen beiden emotionalen Künstler-Frauen". Das quirlige Temperament hat Anny demnach wohl auch von der Mutter geerbt. Und die Sprachbegeisterung? Neben Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch beherrscht Anny auch die Sprachen ihres taiwanesischen Vaters und ihrer koreanischen Mutter - die untereinander stets auf Deutsch kommunizieren, weil das eben ihre gemeinsame Sprache ist.

Auch wenn die Musik immer ein Teil von Anny Hwangs Leben war - zwischendurch gab durchaus auch andere Berufsvorstellungen: Journalistin zum Beispiel wollte sie mal werden. Dann kamen Wettbewerbe wie "Jugend musiziert", die sie gewann - sogar auf Bundesebene. Mit 14, 15 Jahren war sie dann endgültig "infiziert", 2005 wurde sie Jungstudentin in Saarbrücken und Salzburg. In der Mozart-Metropole wurde sie in der Pianisten-Schmiede des großen inzwischen verstorbenen Klavierpädagogen Karl-Heinz Kämmerling ausgebildet, dessen Schülerin, die Saarbrücker Professorin und Klaviersolistin Kristin Merschler, sie weiter förderte und bis heute ihre Mentorin - "und Vertrauensperson" - ist.

Seit knapp acht Jahren lebt Anny Hwang in Berlin - nur gelegentlich kommt sie nach Dudweiler zu Besuch. Und weil ihre Neugier immer noch unstillbar ist, hat sie im Februar in ihrem Charlottenburger Studio das interdisziplinäre Künstlerforum "AnnyTime" eingeweiht: eine Spielwiese für bildende Künstler, Musiker und Schauspieler, eine Herausforderung für den freien kreativen Geist. Hier reibt sich etwa Klassik an Jazz - und umgekehrt. Und Anny Hwang selbst, die sich unter anderem gerade mit dem Saxophonisten Markus Ehrlich an Gershwin ausprobiert, erlebt hier, wie anders Jazzer doch getaktet sind. "Im Jazz ist das exakte Timing wichtig, als klassischer Solist kann man es sich leisten, bestimmten Stellen tiefen Ausdruck zu verleihen, sie richtig auszukosten", verrät Anny. "Und während uns in der Klassik der Notentext heilig ist, sagen Jazzer auch schon mal: nö, gefällt uns nicht und schreiben dann einfach um." Neue Musik-Erfahrungen, die Anny schon ein bisschen euphorisch stimmen.

Was das klassische Repertoire angeht, steht sie derzeit besonders auf Ravel - und freilich auch auf Chopin und Brahms. Eigentlich gilt ihre große Liebe Beethoven, doch der scheint sich (noch?) widerborstig zu zeigen: "Wie es leider so oft ist in der Liebe", erklärt sie, "irgendwie merkt man plötzlich, dass man nicht so richtig zueinander passt." Vielleicht liegt es daran, dass Beethovens Klavierkompositionen eher symphonisch angelegt s ind, während etwa Chopin eigens fürs Piano schrieb. Doch ganz abgesehen von Literaturvorlieben ist die 26-Jährige inzwischen eine international gefragte Solistin, konzertierte bereits mit zahlreichen Orchestern in Europa, Asien und Kanada. "Mit neuen Orchestern zu spielen, ist so aufregend wie ein Blind Date", sagt Hwang, deren Vorbild Martha Argerich ist. Kein Blind Date mehr ist indes die Zusammenarbeit mit der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern, für die die schöne Pianistin ein ganz besonderes Faible hat. Absagen würde sie hier wohl allenfalls, "wenn Daniel Barenboim anriefe".

Nichtsdestotrotz ist es Hwang wichtig, ihre Erfahrungen an musizierende Kinder und Jugendliche weiterzugeben: Eine tolle Sache sei das, "insbesondere dann, wenn die Chemie so stimmt, wie beim Jungen Philharmonischen Kammerorchester Warndt". Mit ihm konzertiert sie heute um 18 Uhr im Großen Sendesaal des Saarländischen Rundfunks auf dem Saarbrücker Hal berg.

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Hintergrund Das Junge Philharmonische Kammerorchester Warndt ist aus dem Streicher-Projekt "Geigen gegen Pisa" hervorgegangen, das der saarländische Musiklehrer Bernhard Hayo 2004 an der Schlossparkschule Völklingen-Geislautern gegründet hat. Motiviert hatten ihn Studien, nach denen frühes Musizieren unter anderem Konzentration, Lernfähigkeit und soziale Kompetenz von Kindern verbessert. Beim heutigen Konzert mit Anny Hwang im Großen Sendesaal auf dem Saarbrücker Halberg (18 Uhr) stehen neben dem Klavierkonzert D-Dur von Joseph Haydn Werke von Johann Stamitz und Béla Bartók auf dem Programm. ine

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