Mini-Kameras im Auto Aufklärung siegt im Zweifel über Datenschutz

Karlsruhe/Magdeburg · Der BGH hat entschieden: Die Aufnahmen von Minikameras im Auto sind als Beweismittel zulässig. Doch Dauerfilmen bleibt verboten.

 Etwa acht Prozent der deutschen Autofahrer haben inzwischen eine sogenannte Dashcam hinter der Windschutzschreibe.

Etwa acht Prozent der deutschen Autofahrer haben inzwischen eine sogenannte Dashcam hinter der Windschutzschreibe.

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

(dpa) Frontalzusammenstöße, Raubüberfälle und prügelnde Autofahrer: Dramatische Szenen auf Russlands Straßen gehören zu den am meisten angeklickten Videos auf der Internetplattform Youtube. Zu verdanken haben die Nutzer die Bilder dem Trend zu Dashcams (auf Deutsch: Amaturenbrettkameras). Millionen Russen installieren diese Unfall-Kameras inzwischen in ihre Autos – zum Schutz vor Verkehrsrüpeln, aber auch vor Betrügern, die mit provozierten Unfällen Kasse machen wollen.

Inzwischen entdecken auch immer mehr deutsche Autofahrer die Mini-Kameras hinter der Windschutzscheibe oder am Innenraum-Rückspiegel. Doch dürfen die Aufnahmen der kleinen Videokamera am Armaturenbrett oder an der Windschutzscheibe als Beweis verwertet werden, wenn es wirklich mal gekracht hat? Sie dürfen, entschied gestern der Bundesgerichtshof (BGH) (Aktenzeichen: VI ZR 233/17).

Die Richter formulierten allerdings ein großes Aber: Das permanente Filmen des Verkehrs bleibt verboten – das verstoße gegen den Datenschutz. Doch die Aufklärung eines Unfalls könne wichtiger sein, zumal der Unfallbeteiligte ohnehin Angaben zur Person, zum Führerschein und zur Versicherung machen müsse. Die Nutzung der Aufnahmen müsse je nach Fall abgewogen werden, so der BGH. Verkehrsexperten, Juristen, Versicherer und Polizisten begrüßten zumeist die Entscheidung. Doch manche haben sich mehr erwartet. Sie forderten auch nach dem Urteil eine gesetzliche Regelung.

Konkret ging es vor dem BGH um einen Fall aus Sachsen-Anhalt. Ein Mann pochte nach einem Unfall auf vollen Schadenersatz. Nach seiner Darstellung ist ein Auto beim Linksabbiegen auf der daneben verlaufenden Spur auf seine Fahrbahn gekommen und gegen seinen Wagen gefahren. Das sollen Aufnahmen seiner Dashcam belegen. Doch weder das Amts- noch das Landgericht Magdeburg berücksichtigten die Aufnahmen: Weil sie unzulässig entstanden sind, dürften sie nicht als Beweis herangezogen werden. Die Richter begründeten die nun vom BGH gekippten Entscheidungen jeweils damit, dass permanentes Filmen anderer ohne deren Einverständnis gegen das Bundesdatenschutzgesetz sowie gegen das Persönlichkeitsrecht und das Recht am eigenen Bild verstößt.

Diesen Standpunkt vertritt auch der Deutsche Anwaltverein (DAV). Das „nicht-anlassbezogene Betreiben einer Dashcam im öffentlichen Raum ist in Deutschland nicht legal“, sagte Daniela Mielchen von der DAV-Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht. Doch gleichzeitig sind Dashcams nicht verboten. „Auf meinem privaten Grundstück kann ich filmen, so viel ich will“, sagt Paetrick Sakowski von der Wirtschaftsrecht-Kanzlei CMS. Auch Kameras, die nur kurz und anlassbezogen einen Unfall aufnehmen, dürften unproblematisch sein – in seinem Urteil wies der BGH auf diese Aufzeichnungsmöglichkeit hin. Wer jedoch andauernd Dritte filmt, das speichert und es womöglich ins Netz stellt, muss mit einem Bußgeld rechnen. Das gilt selbst dann, wenn das Video hilft, einen schweren Verkehrsverstoß aufzuklären.

Denn als Beweismittel sind Dash­cam-Aufnahmen grundsätzlich eine große Hilfe: Oft ist die Rekonstruktion eines Unfalls schwierig, etwa weil Zeugen sich widersprechen. Auch Kfz-Versicherer könnten mit Videoaufnahmen einfacher feststellen, wer wie viel Schuld an einem Unfall trägt und so schneller Schäden regulieren. „Wenn Beweise da sind, muss man sie auch verwenden dürfen“, sagt Kläger-Anwalt Volkert Vorwerk.

DAV-Experte Andreas Krämer sieht das etwas anders: Problematisch sei, dass jemand, der mit verbotenen Aufnahmen gegen die Rechtsordnung verstoße, am Ende „belohnt“ werde. Er ist enttäuscht vom BGH-Urteil: Das Persönlichkeitsrecht wiege nun weniger als die „Aufklärung von Blechschäden“.

Die deutsche Versicherungswirtschaft fordert vom Gesetzgeber nun einen verbindlichen datenschutzrechtlichen Rahmen für den Einsatz von Dashcams. Auch der Deutsche Verkehrsgerichtstag plädiert seit langem für eine klare gesetzliche Regelung und empfiehlt auf Basis des europäischen Datenschutzrechtes einen „Ausgleich zwischen Beweisinteresse und Persönlichkeitsrecht“. Videos sollten „anlassbezogen“ zulässig sein, etwa bei schweren Verstößen oder einem drohenden Unfall, und ansonsten überschrieben werden.

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