Machtwechsel auf der Karibikinsel Auch nach Fidel und Raúl bleibt Kuba Castro-Land

Havanna · Fast 60 Jahre lang wurde die Karibikinsel von den Brüdern regiert. Heute tritt auch der Jüngere von ihnen ab – und hinterlässt ein Land im Umbruch.

 Seit 1959 regieren die Castros, hier ein Foto von 2004, die Karibikinsel Kuba: Bis 2006 hatte der inzwischen verstorbene Fidel (links) die Macht im Land, bevor er sie an Raúl abgab. Nun tritt auch der jüngere Bruder ab.

Seit 1959 regieren die Castros, hier ein Foto von 2004, die Karibikinsel Kuba: Bis 2006 hatte der inzwischen verstorbene Fidel (links) die Macht im Land, bevor er sie an Raúl abgab. Nun tritt auch der jüngere Bruder ab.

Foto: dpa/Alejandro Ernesto

In diesen Tagen, denen so oft das Attribut historisch angeheftet wird, verliert sich Doris Contreras häufig in der Vergangenheit. Dann schaut sie etwas schwermütig auf die schwarzweißen Bilder von Fidel Castro und Ché Guevara, die im Bücherregal gleich neben denen ihrer Kinder stehen: „Die konnten das, die haben das gut gemacht“, sagt die alte Frau. Dank der Castro-Brüder hätten die Töchter gratis studieren können, lobt Contreras die „historischen Führer“ der Revolution. Und sie selbst genieße in ihrem Alter die kostenlose Gesundheitsversorgung. Zwar kämpft auch die Familie Contreras mit den Absurditäten des kubanischen Alltags. „Doch es ist alles besser als das, was wir früher hatten“.

Aber jetzt wollen die Revolutionäre, die zum Jahreswechwsel 1958/59 die Macht auf der Karibikinsel eroberten, in Rente gehen – allen voran Raúl Castro. Der 86 Jahre alte Staatschef ist nach zwölf Jahren an der Spitze des Staates und anderthalb Jahre nach dem Tod seines Bruders Fidel müde. Er hinterlässt ein Land im Umbruch, viele kleine, aber ungenügende Reformen, ungezählte Hoffnungen, aber auch viele Ängste. So wie bei Doris Contreras. Ihr ist bang vor dem, was heute in der Nationalversammlung passieren soll. Wenn der Name Castro in die Geschichtsbücher wechselt. Den designierten Nachfolger Miguel Díaz-Canel hat sie öfter im Fernsehen gesehen. Aber überzeugt hat er sie nicht in seinen Jeans und seinem weißen Hemd. „Der brennt nicht mehr für die Revolution“, sagt Doris Contreras.

Am anderen Ende von Havanna wartet Luis Sánchez mal wieder vergeblich auf den Bus, der ihn zu seinem Arbeitsplatz in einer Metallwarenfabrik bringen soll. In den Arbeitervorort Regla verirren sich nur selten Touristen. Hier ist Kuba noch grauer, sozialistischer Alltag: leere staatliche Läden, kaum funktionierender Nahverkehr. Sánchez lebt mit dem Einheitslohn von umgerechnet 25 Euro und den staatlichen Subventionen auf der Lebensmittelkarte, die immer weniger hergibt. Der 25-Jährige kennt keinen anderen Präsidenten als Castro I. oder Castro II. Und er kann es nicht erwarten, dass jetzt was Neues kommt. „Ich kenne den nicht, der jetzt kommen soll“. Aber es bewege sich was, und das mache Hoffnung. „Es muss sich was tun“.

Doch kaum ein Kubaner kann sich die Insel ohne Castro vorstellen. „Die Menschen haben keine wirkliche Idee davon, was eine Regierung ohne Raúl oder Fidel an der Spitze bedeutet“, sagt Yassel Padrón, der auf dem Blog „Junges Kuba“ über marxistische Ideen in der Aktualität schreibt. „Wir betreten Neuland.“

Aber auch nach dem offiziellen Ende der Ära der Brüder bleibt die widerspenstige Insel ja Castro-Land. Fidel und Raúl haben Kuba fast 60 Jahre lang geformt. Alles ist so, wie sie es wollten. Eine Mischung aus Marx, Lenin, dem kubanischen Freiheitshelden José Martí – und eben Castro. Früher war es „Fidelismo“, heute ist es Raúlismo“. Das kann man nicht so einfach abwickeln. Raúl, minimal charismatisch, dafür maximal pragmatisch hat das Modell seines Bruders modifiziert, den Kapitalismus hereingelassen, um den Kommunismus zu erhalten. Er regierte nur ein Viertel der Amtszeit seines übermächtigen Bruders. Aber Raúl hat in dieser Zeit mehr bewegt, als Fidel all die Jahre zuvor. Er hat Hunderttausend Staatsdiener entlassen, kleines Privatgewerbe zugelassen. Heute schuften die Kubaner als Palmenzurückschneider, Feuerzeugauffüller oder Taxifahrer, sie vermieten Zimmer oder führen Wohnzimmerrestaurants als „Cuentapropistas“, als kleine Ich-AGs.

Castro II. hat auch um ausländische Investoren gebuhlt. Es gibt jetzt Sonderwirtschaftszonen, neue sündhaft teure Hotels, Jachthäfen und sogar Golfplätze. Kubaner dürfen jetzt Reisen, wann sie wollen und wohin sie können. Er hat die Aussöhnung mit den USA erreicht. Selbst Internet gibt es jetzt auf der Insel. Alles soll dazu dienen, mehr Geld anzulocken.

Nur hat sich gezeigt, dass das nicht reicht. Die Reformen sind zu klein gedacht. Und die Regierung steckt nach wie vor in krassen Devisennöten und gibt zwei Milliarden Dollar pro Jahr für Nahrungsmittel­einkauf aus, weil die Landwirtschaft trotz Anreizen nicht funktioniert. In den vergangenen Jahren hat der große Bruder Venezuela die Insel lebensfähig gehalten. Aber da mittlerweile Venezuelas Ökonomie selbst im Koma liegt, tut dies eben auch die kubanische Wirtschaft.

Das ganze Reformmodell wartet auf einen neuen Impuls, den der neue Staatschef bringen soll. Denn Kuba ist inzwischen eine bizarre Mischung aus Kapitalismus und Kommunismus, aus zerfallen und rausgeputzt. Bewahrer ringen mit Modernisierern um die Hoheit. „Dabei lautet das offizielle Motto noch immer: „Sin prisa, pero sin pausa“ – „ohne Eile, aber ohne Pause.“

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