Interview Annelie Buntenbach „Weit weg von der Lebenswirklichkeit“

Berlin · Das DGB-Vorstandsmitglied kritisiert die Merz-Idee einer steuerlich begünstigten privaten Altersvorsorge. Der Vorstoß sei ein „Ablenkungsmanöver“.

 Annelie  Buntenbach  gehört dem Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes an.

Annelie Buntenbach gehört dem Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes an.

Foto: picture alliance / dpa/Jaðrg Carstensen

Der Vorschlag des Kandidaten für den CDU-Vorsitz, Friedrich Merz, einen Teil der Altersvorsorge über einen steuerlich begünstigten Aktienkauf anzusparen, stößt bei den Gewerkschaften auf scharfe Ablehnung. Die Idee zeige, dass Merz „weit weg von der Lebenswirklichkeit der Menschen“ sei, erklärte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach, die auch alternierende Vorsitzende der Deutschen Rentenversicherung ist. Im Gespräch mit unserer Zeitung begründete sie ihre Ablehnung.

Frau Buntenbach, was ist so furchtbar an der Idee von Friedrich Merz zur Altersvorsorge?

BUNTENBACH Das ist ein billiges Ablenkungsmanöver von dem, was bei der gesetzlichen Rente jetzt nötig ist. Aktienkauf wird bei der Altersvorsorge breiter Bevölkerungsschichten nicht helfen. Wer sich das Investieren in Aktien leisten kann, der braucht dafür keine steuerliche Förderung. Und für jene, die sich das nicht leisten können, tut auch eine steuerliche Förderung nichts zur Sache.

Aber letztlich geht es doch um eine Mitarbeiterbeteiligung am Gewinn von Unternehmen. Das müssten die Gewerkschaften doch eigentlich begrüßen.

BUNTENBACH Für die Beteiligung der Belegschaft an der guten Wirtschaftsentwicklung ist der Aktienmarkt vollkommen ungeeignet. Die beste Beteiligung an den Gewinnen sind gute Löhne, Tarifverträge und betriebliche Mitbestimmung. Aber auch eine tariflich geregelte betriebliche Altersvorsorge mit Arbeitgeberbeteiligung und guter Leistungszusage wäre besser. Und anders als Friedrich Merz will, kann eine zusätzliche Vorsorge immer nur die gesetzliche Rente ergänzen, nicht ersetzen.

Merz empfiehlt, in jungen Jahren anzufangen mit vier oder fünf Euro am Tag. Ist das zu viel verlangt?

BUNTENBACH Wenn Merz bei vier oder fünf Euro am Tag von kleinen Beträgen spricht, dann zeigt das, wie weit weg er von der Lebenswirklichkeit der Menschen ist. Diese sogenannten kleinen Beiträge belaufen sich nämlich im Monat auf 120 bis 150 Euro. Das übersteigt die Möglichkeiten vieler Beschäftigter, von denen schon heute gut 40 Prozent keinen Cent im Monat zurücklegen können. Wir haben das mal durchgerechnet.

Mit welchem Ergebnis?

BUNTENBACH Fünf Euro am Tag sind 150 Euro im Monat. Für eine Vollzeitbeschäftigte mit gesetzlichem Mindestlohn wären das bis zu zehn Prozent vom Bruttogehalt. Bei einem Bezieher von Arbeitslosengeld II macht dieser Betrag sogar rund ein Drittel des Regelsatzes aus. Die Beispiele zeigen: Für Besserverdiener mag das sicher gehen, aber nicht für jene, die mehr schlecht als recht über die Runden kommen.

Was schlägt der DGB vor?

BUNTENBACH Wir brauchen dringend eine Stärkung der gesetzlichen Rente. Dort sind die allermeisten Menschen versichert. Dazu gehört in erster Linie eine Stabilisierung des Rentenniveaus und in einem zweiten Schritt eine Anhebung von jetzt 48 auf dann etwa 50 Prozent.

Aber selbst damit werden nicht alle Ruheständler im Alter automatisch über dem Grundsicherungsniveau liegen.

BUNTENBACH Deshalb braucht es zusätzlich Maßnahmen zur zielgerichteten Bekämpfung von Altersarmut. Die Bundesregierung plant dazu im kommenden Jahr eine sogenannte Lebensleistungsrente. Dieses Modell werden wir uns dann genau anschauen. Entscheidend dabei ist, dass es keine Bedürftigkeitsprüfung geben darf. Wer in vielen Arbeitsjahren wenig verdient hat, darf im Alter nicht in die Grundsicherung rutschen.

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