Nach Putsch gegen Erdogan Ankara verlangt Auslieferung von Adil Öksüz

Istanbul · Mutmaßlicher türkischer Gülen-Führer soll in Deutschland leben und Putschversuch für den im Exil lebenden Prediger geleitet haben.

 Die Regierung des türkischen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat eine Note an die Bundesregierung geschickt.

Die Regierung des türkischen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat eine Note an die Bundesregierung geschickt.

Foto: dpa/Oliver Berg

Seit dem Umsturzversuch in der Türkei des vergangenen Jahres verlangt Ankara von Deutschland die Auslieferung mutmaßlicher Putschisten – doch kein Fall birgt so viel Sprengstoff für die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen beiden Ländern wie der von Adil Öksüz. Sollte Öksüz tatsächlich in der Bundesrepublik leben, wie regierungsnahe türkische Medien melden, ist eine neue Krise im Verhältnis zwischen Berlin und Ankara absehbar. Denn Öksüz ist nicht irgendein Putschist: Er gilt als Kopf der Umstürzler, die am 15. Juli 2016 versuchten, die Macht an sich zu reißen. Zudem gilt seine Flucht nach dem Putsch bei Regierungsanhängern als Beweis für die Unterstützung des westlichen Auslands für die Umstürzler.

Neben dem Prediger Fethullah Gülen selbst ist Öksüz für Ankara die wichtigste Person in der Verschwörung gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan und damit ein Hauptverantwortlicher für den Tod von 250 Menschen bei den Gefechten in der Putschnacht vom 15. Juli 2016. Die regierungsnahe Zeitung „Yeni Safak“ hatte berichtet, die Behörden in Baden-Württemberg hätten Öksüz eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt, dessen Namen aber anders als in anderen Fällen nicht in den normalen offiziellen Dokumenten verzeichnet. Damit solle der Aufenthalt von Öksüz in Deutschland verschleiert werden; der Flüchtige sei aber in Frankfurt und in Ulm gesehen worden. Das türkische Außenministerium forderte die Bundesregierung auf, diesen Informationen nachzugehen und Öksüz auszuliefern, falls er sich tatsächlich in Deutschland aufhalten sollte.

Öksüz, 50, ist ein Theologie-Dozent aus dem nordwesttürkischen Sakarya. Laut türkischen Medienberichten hatte er in der Gülen-Bewegung eine hohe Funktion inne: Er soll die Gülen-Anhänger innerhalb der türkischen Luftwaffe angeleitet haben. In dieser Rolle lenkte Öksüz am Abend des 15. Juli vergangenen Jahres angeblich im Auftrag des in den USA lebenden Gülen den Putschversuch gegen Erdogan.

Laut der türkischen Staatsanwaltschaft reiste Öksüz kurz vor dem versuchten Staatsstreich in die USA und kehrte zwei Tage vor dem Umsturzversuch in die Türkei zurück. Deshalb bildet Öksüz aus Sicht der türkischen Regierung die Verbindung zwischen dem Putsch und Gülen persönlich – was für die türkische Forderung an die USA nach Auslieferung Gülens wichtig ist. Gülen weist alle Vorwürfe zurück, etwas mit dem Aufstand gegen Erdogan zu tun gehabt zu haben.

Was genau Öksüz am Tag des Putsches tat, ist nicht bekannt. Fest steht, dass er sich als einziger Zivilist an diesem Tag in der Luftwaffenbasis Akinci bei Ankara aufhielt, der Befehlszentrale der Putschisten. Als er außerhalb des Stützpunkts festgenommen wurde, gab er an, er habe sich ein Stück Land ansehen wollen, um es zu kaufen. Öksüz kam in Polizeihaft, wurde kurz darauf aber von einem Richter auf freien Fuß gesetzt. Seitdem ist er verschwunden.

Seit seinem Untertauchen ist Öksüz in der türkischen Öffentlichkeit zum Phantom geworden. In den vergangenen Monaten soll er unter anderem in einer abgelegenen Gegend der Türkei gesehen worden sein. Laut „Yeni Safak“ entkam er aber nach seiner Haftentlassung nach Deutschland.

Der türkische Verdacht, dass westliche Partner des Landes beim Putsch mithalfen, stützt sich nicht zuletzt auf die Flucht von Öksüz. So wurde der Gülen-Mann sechs Tage nach dem Putschversuch vom US-Konsulat in Istanbul angerufen. Türkische Medien sehen darin einen Beweis für die Hilfe Washingtons für die Erdogan-Gegner. Die USA erklärten dagegen, da das Visum von Öksüz auf türkischen Wunsch hin storniert wurde, sei man gesetzlich verpflichtet gewesen, den Betroffenen davon zu unterrichten.

In Deutschland haben mehrere hundert Gülen-Anhänger, darunter türkische Diplomaten und Offiziere, seit dem Putschversuch politisches Asyl beantragt. Ankara verlangt ihre Auslieferung, was von Berlin mit Hinweis auf die Unabhängigkeit der Justiz abgelehnt wird. Sollte sich nun Öksüz zu den Asylsuchenden gesellen, dürfte der Streit zwischen beiden Länden beträchtlich schärfer werden.

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