SZ-Serie An der ästhetischen Akzeptanz-Grenze

Wehingen/Wellingen · Zum Abschluss unserer SZ-Serie thematisieren wir, welche gestalterischen Folgen Windparks für Kulturlandschaften haben. Das Für und Wider ist nirgends besser abzulesen als in Wehingen/Wellingen.

 Windräder in Sichtweite der „Steine an der Grenze“, einer Skulpturenstraße auf dem alten Grenzweg zwischen den Merziger Stadtteilen Büdingen/Wellingen und dem französischen Launstroff. Fotos: Rolf Ruppenthal

Windräder in Sichtweite der „Steine an der Grenze“, einer Skulpturenstraße auf dem alten Grenzweg zwischen den Merziger Stadtteilen Büdingen/Wellingen und dem französischen Launstroff. Fotos: Rolf Ruppenthal

Wer dem Forstwirtschaftsweg folgt, der sich in Höhe von Wehingen den Kewelsberg hinaufschlängelt, der landet nach wenigen Kilometern wie von selbst in einem so genannten Windpark. Eigentlich ist das Ackerland hier, aus dem allerdings neun gigantische Elektromühlen - zwei weitere sind gerade in Bau - rund 200 Meter hoch aufragen. Es sind jene Windräder, die man immer kurz vor Perl rechterhand der Autobahn nach Luxemburg sieht. Die aus dem Acker gesprossenen grün-geringelten Halskrausen der Masten bleiben im Gedächtnis haften. Jetzt steht man unter einem von ihnen und macht den Hörtest: Wie viel Lärm machen die Rotoren? So wenig wie der Wind an diesem Morgen - eine Bestandsaufnahme mit sehr relativer Aussagekraft also.

Relativ scheint überhaupt alles zu sein, wenn es um die landschaftsästhetische Beurteilung von Windparks geht. Nirgendwo wird einem das im Saarland so deutlich wie hier oben auf dem Wehinger Plateau und der wenige Kilometer davon entfernten Wellinger Höhe auf der anderen Seite der Autobahn A 8. Dank des Internationalen Bildhauerprojekts "Steine an der Grenze" gilt die Wellinger Höhe als saarländisches Juwel. Oder muss man inzwischen sagen: galt? Jedenfalls verläuft zwischen Wehingen und Wellingen hierzulande gewissermaßen die gefühlte, ästhetische Akzeptanzgrenze der Windkraft. Wieso?

Während die träge kreisenden Rotorenfinger auf Wehinger Seite - vor gut zehn Jahren unter Protest errichtet - selbst für den darunter seines Weges gehenden Spaziergänger nichts Störendes, ja sie beinahe etwas Erhabenes haben, sich passabel ins Landschaftsbild einfügen und weit genug von Siedlungsgebieten ihrem Energieschöpfungsgeschäft nachgehen, ist das Bild in Wellingen ein gänzlich anderes. Vor zwei Jahren sind dort drei Windkraftanlagen in Betrieb genommen worden, deren rotierende Schatten sich nun mehr oder weniger in die Steinskulpturen entlang der saarländisch-französischen Grenze hineinritzen. Wie viel Kulturbanausentum muss an verantwortlicher Stelle zusammengekommen sein, um solchen Frevel zu genehmigen?

In unmittelbarer Sichtnähe der vom saarländischen Bildhauer Paul Schneider Mitte der 80er Jahre initiierten Internationalen Bildhauerstraße - einem der touristischen Pfunde der Region - wurde dort der Windpark Büdingen/Silwingen hingepflanzt. Ungeachtet massiver Proteste wurde er 2013 vom Merziger Stadtrat durchgewunken - zehn Jahre, nachdem ein erster Versuch, in dieser wohlgeformten, von Schneiders Skulpturenstraße geadelten Kulturlandschaft Windräder aufzustellen, damals vom damaligen Landeskonservator Johann Peter Lüth vereitelt werden konnte. Don Quixote gleich, nahm Lüth den Kampf gegen die Wellinger Windmühlen auf und gewann: Er drohte Schneiders Skulpturenstraße in die Liste der zu schützenden Kulturdenkmäler aufzunehmen. Alleine die Drohung genügte.

Steht man heute inmitten dieser berückenden, sanft geschwungenen Landschaft, vor der sich die "Steine an der Grenze" auf ihre Weise zu verneigen scheinen, wird einem schonungslos vor Augen geführt, dass Windanlagen offenbar bisweilen unter Ausschluss landschaftsarchitektonischer Erwägungen genehmigt werden. Interessiert uns denn nur, ob Fledermäuse oder Rotmilane zu den Leidtragenden gehören - nicht aber Spaziergänger, Waldliebhaber oder Horizontsucher?

Windkraftkritiker beklagen, dass Effizienz und Praktikabilität der Planungsvorhaben des Öfteren Vorrang vor der Abschätzung negativer Landschaftsfolgen haben. Dabei sind Windparks nun mal keine Windmühlen, die sich in die Topographie einer Landschaft nahtlos einfügen. 200 Meter Höhe sind eben nicht 20.

Der Versuch einer Klärung der Frage, nach welchen ästhetischen Kriterien sich Windanlagen halbwegs konsensfähig bewerten lassen, endet schnell in der Sackgasse von Geschmacksurteilen. Die einen geißeln sie als "Verspargelung der Landschaft", die anderen finden die blinkenden Karussells am Horizont tolerabel oder sehen günstigstenfalls darin gar eine optisch zeitgemäße Bereicherung unserer geschaffenen Umwelt. Ist alles also bloße Ansichtssache? Nein. Dass das Thema "Windpark" gewaltiges Konfliktpotenzial hat, zeigt, dass dabei jenseits des Energiepolitischen gesellschaftlich Grundsätzliches mit verhandelt wird. Vordergründig mag es darum gehen, ob am Ort XY nun Windräder errichtet werden sollen oder nicht.

Eigentlich aber geht es, jedenfalls aus Sicht vieler Gegner, um die (allerdings längst nicht immer auch berechtigte) Sorge, dass eine Kulturlandschaft zerstört und damit in letzter Konsequenz Heimat entwertet wird. Unstrittig dürfte sein, dass Naturräume und gewachsene Kulturlandschaften von vielen als sinnstiftend, erhebend, malerisch, harmonisch, wohltuend oder schlicht als vertraut empfunden werden. Gibt es aber auch objektivierbare Kriterien für die Schönheit von Landschaften?

Der in diesem Zusammenhang substanziellste Beitrag stammt von dem Landschaftsarchitekten (und Windkraftgegner) Werner Nohl, der sich in mehreren Aufsätzen mit der Frage beschäftigt hat. Maßstäblichkeit und Verträglichkeit sind für Nohl - unter Rückgriff auf schon in der Antike geltende Schönheitskriterien - demnach die beiden letztlich gültigen Parameter: Er weist darauf hin, dass die Perforierung der Landschaftsbilder durch turmhohe Windanlagen "die horizontale Schichtung der Landschaft" konterkariere und die Rotoren in einmaliger Aufdringlichkeit "die Funktion und Wirkweise des Gliederns und Ordnens" übernähmen.

Nicht jede Landschaft, so ließe sich einwenden, wird durch Windräder ruiniert oder geschändet. Die Industrialisierung unserer Landschaftsräume hat derart viele gnadenlos monotone Flächen generiert, dass Windanlagen mitunter sogar gestalterische Akzente setzen. So wie auch die Anlagen, deren Design durchaus eine gewisse Eleganz zeigt. Im Übrigen ist unser ästhetisches Empfinden kontextabhängig: Derselbe Windpark kann in einem vergleichsweise gestaltlosen Landschaftsraum völlig anders wirken als in einer markanten, wohlgestalteten (oder wohnortnahen) Umgebung. Was nicht heißt, dass kilometerlange, ausgedehnte Standardwälder ideale Standorte wären. Auch aus saarländischen Wäldern kennt man inzwischen wahre Schreckensbilder. Sie zeigen gigantische, geschlagene Schneisen - diese zeugen von einer mitunter fraglos rabiaten Opferung von Naherholungsgebieten oder historischen Waldkulturlandschaften auf dem eilig zusammengezimmerten Altar der Energiewende. Insoweit fällt die Bilanz salomonisch aus: Kategorische Haltungen, ob pro oder contra Windenergie, sind fehl am Platz.

Zum Thema:

 Blick auf die entlang der Autobahn A8 in Richtung Perl zu sehenden Windräder in Höhe von Wehingen. Luftlinie nur wenige hundert Meter von der Skulpturenstraße entfernt, fügen sie sich hier passabel in die Landschaft ein.

Blick auf die entlang der Autobahn A8 in Richtung Perl zu sehenden Windräder in Höhe von Wehingen. Luftlinie nur wenige hundert Meter von der Skulpturenstraße entfernt, fügen sie sich hier passabel in die Landschaft ein.

SZ-Serie zu Windkraft auf einen Klick Der Strom aus Wind ist im Saarland umstritten. In einer Serie hatte unsere Zeitung seit Februar bis heute das kontroverse Thema unter die Lupe genommen. Dabei ging es um die Bedeutung der Windenergie für die künftige Stromversorgung im Land, wie viele Windräder hierzulande bereits installiert und wie viele noch geplant sind, wem sie nützen und wem schaden. Die Serien-Teile stehen gesammelt unter www.saarbruecker-zeitung.de/windkraft .

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