Warnung vor Alternativmedizin „Die Homöopathie ist unwissenschaftlich“

Homburg · „Wer heilt, hat recht“ heißt das dritte Buch des Homburger Palliativmediziners, in dem er über alternative Heilmethoden aufklärt.

 Der Schmerzspezialist Prof. Dr. Sven Gottschling bei einer Akupunkturbehandlung an der Uniklinik Homburg. Sein drittes Buch „Wer heilt, hat recht“ kommt heute auf den Markt. Es beschäftigt sich mit alternativen Heilmethoden.

Der Schmerzspezialist Prof. Dr. Sven Gottschling bei einer Akupunkturbehandlung an der Uniklinik Homburg. Sein drittes Buch „Wer heilt, hat recht“ kommt heute auf den Markt. Es beschäftigt sich mit alternativen Heilmethoden.

Foto: Iris Maria Maurer

Er trägt den Titel „Angstnehmer“: Prof. Dr. Sven Gottschling, Chefarzt am Zentrum für Palliativmedizin und Kinderschmerztherapie der Universitätsklinik Homburg, hat sich mit gut verständlichen Büchern über das Sterben und zur Schmerzmedizin als „Spiegel“-Bestseller-Autor profiliert. Der 47 Jahre alte Schmerz-Spezialist wendet selbst begleitende alternative Heilmethoden an. In seinem neuen Buch „Wer heilt, hat recht“ stellt er die Alternativmedizin jedoch auf den wissenschaftlichen Prüfstand, von Akupunktur über Cannabis bis zur Hypnose. Das Buch versteht sich als Aufklärungs-Schrift. Wir trafen den wie immer gutgelaunten Gottschling in seinem Homburger Büro.

Wer fragt am ehesten nach alternativen Heilmethoden? Stimmt die These: Je höher gebildet jemand ist, desto besser informiert ist er und umso anspruchsvoller gegenüber dem Arzt?

GOTTSCHLING Ja, und desto irrationaler werden gerade diese Menschen in der Wahl ihrer Therapien. Wenn man Zeit hat zu recherchieren oder wenn man sich‘s leisten kann, dann verlässt man gerne mal die ausgetrampelten Pfade. Es werden dann Methoden aufgerufen, von denen selbst ich noch nie was gehört habe.

Können Sie Beispiele nennen?

GOTTSCHLING Das geht von der Dunkelfeldmikroskopie bis zur Spagyrik. Fragen Sie mich nicht, was das genau ist. Es geht wild in alle Richtungen. Es sind aber auch die Hochverzweifelten, die alternativ behandelt werden wollen. Nach dem Motto: Ich greife nach jedem Strohhalm. Da sagen Eltern mit Hochschulabschluss, Cannabis könne die Tumorzellen ihres Kindes zum Platzen bringen und wollen statt einer Chemo darauf setzen. Dann muss ich sie davon überzeugen, dass Cannabis nur einen Schmerz lindernden Effekt haben kann, dass dies keine schulmedizinisch notwendige Therapie ersetzt.

Hatten Sie schon einen Patienten, der gestorben ist, weil er die Schulmedizin ablehnte?

GOTTSCHLING Bei Erwachsenen ist das nicht so heikel. Ich informiere, danach ist jeder frei in seiner Entscheidung, und Freiheit heißt hier auch Freiheit zur Krankheit. Jeder darf sich schädigen, wie er möchte. Bei Kindern ist der Arzt mit in der Verantwortung. Wenn ich ein Kind durch eine Chemotherapie retten kann, und es ohne diese Behandlung höchstwahrscheinlich sterben wird, dann muss ich im schlimmsten Fall einen Sorgerechtsentzug für die medizinische Behandlung erwirken. Es ist ein Trauma, wenn man eine solche Zwangsbehandlung durchführen muss. Ich hatte einen solchen Fall nur ein einziges Mal, es betraf einen Jugendlichen.

Sie legen in Ihrem Buch dar, wie stark die Heilkraft der positiven Erwartung und wie groß die Wirkkraft der Placebos ist. Vor diesem Hintergrund können Sie als Arzt nichts falsch machen, solange die Alternativtherapie dem Patienten nicht schadet. Doch ist damit nicht allen, auch den von Ihnen kritisierten Methoden Tür und Tor geöffnet?

GOTTSCHLING Man kann sehr wohl was falsch machen. Man kann nämlich für Unsinn viel Geld bezahlen. Immer dann, wenn ich direkt zum Heilpraktiker renne, gehe ich ein hohes Risiko ein. Es braucht immer eine schulmedizinische Diagnostik.

Welche Alternativ-Therapien sind in Ihrer Klinik schon Alltag?

GOTTSCHLING Wir arbeiten mit Cannabis, machen Akupunktur, bieten Hypnotherapie, Kunst-, Musiktherapie und eine tiergestützte Therapie.

Wenden Sie Misteln bei Krebs an?

GOTTSCHLING Wir sind abteilungsintern gerade dabei, uns weiterzubilden, weil die Studienlage das jetzt hergibt. Studien belegen eine Lebensqualitätsverbesserung und besagen, dass sogar Überlebensvorteile erzielt werden können durch eine begleitende Misteltherapie. Es ist sogar teilweise schon eine Kassenleistung. Wir werden dazu eine Spezialsprechstunde anbieten.

Mitunter hat man auch in der Medizin den Eindruck, es gehe nur noch darum, Wohlgefühl herzustellen. Bei der Lektüre Ihres Buches ertappte ich mich bei dem Gedanken: Jetzt fehlt nur noch die Schokoladentherapie. Wann sagen Sie, wir sind keine Wellnessabteilung, ich bin Mediziner? Wo ist für Sie Schluss?

GOTTSCHLING Es ist ja viel, viel mehr als Wellness. Wir konnten bei der tiergestützten Therapie nachweisen, dass eine Schmerzlinderung wie bei Morphinen erzeugt werden kann. Wir konnten nachweisen, dass der Stresslevel markant absinkt. Das ist nicht nur Kuschelkuschel und Ach-wie-süß. Wir bekommen eindeutig körperliche und klinisch relevante Effekte hin, und das ohne die üblichen Nebenwirkungen herkömmlicher Medikamente.

Gibt es etwas, was Sie total ablehnen? Wann sagen Sie zu einem Patienten: Das mache ich nicht?

GOTTSCHLING Ich mache ganz viel nicht. Ich erkläre, warum ich es für Blödsinn halte: Irisdiagnostik, Darmsanierungen, Eigenurintherapie, im Buch ist noch mehr aufgeführt. Der größte Blödsinn sind Antikrebsdiäten. Wir quälen damit Menschen völlig unnötig. Wir versauen ihnen die Lebensqualität noch mehr als wir müssten. Ich meide alle Verfahren, die weh tun und keinen Effekt bringen, und alle Verfahren, die viel Geld kosten und nichts bringen.

Sie tun sich auch schwer mit der Homöopathie?

GOTTSCHLING Ja. Obwohl man sagen kann, da ist ja nachgewiesenermaßen gar kein Wirkstoff drin, die Zuckerkügelchen tun niemandem weh, die Wirkerwartung ist hoch und wir haben positive Ergebnisse. Theoretisch lässt sich das als eine Form von Psychotherapie sehen, eine Form von Zuwendung, die hilft.

Eben. Eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung heilt, das ist doch eine Ihrer Kernthesen. Was ist daran falsch?

GOTTSCHLING Wir haben über 5000 homöopathische Arzneimittel in Deutschland, etwa Uhubürzeldrüsensekret oder ein Medikament, das heißt Murus Berliensis, da ist Berliner Mauer drin, und es hilft gegen Ausgrenzung und Abschottung. Aber auch Bachblüten und Schüsslersalze. Mit diesen meistgekauften Medikamentenschlagern sind wir bei einer Milliarde Euro Umsatz im Jahr, das ist ein Riesenmarkt. Es gibt viele Krankenkassen, auch gesetzliche, die das erstatten. Ich bin jetzt mal böse und erkläre das Kalkül dahinter. Es sind in der Regel junge, gesunde Menschen, die auf Homöopathie setzen. Es sind nicht die, die ums Überleben kämpfen. Also sind das die Kunden, die Krankenkassen haben wollen. Deshalb gehen die Kassen mit Homöopathie auf Kundenfang. Das ist für mich unlauter. Man denkt ja, Menschen, die Homöopathie befürworten, sind gesundheitsbewusster. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Bei 40 000 Menschen, die stark an homöopathischen Heilmitteln interessiert waren, wurde eine Studie durchgeführt. Sie haben mehr Krankheitsfehltage, sie nehmen ihre Ärzte noch häufiger in Beschlag und sie produzieren höhere Gesundheitskosten.

Die Kassenärzte forderten bereits ein Verbot der Homöopathie, auf dem Ärztetag in Münster 2018 gab es ein Memorandum gegen die „esoterische Heilslehre“. Was halten Sie vom Ruf „Schafft die Homöopathie ab“?

GOTTSCHLING Den unterschreibe ich! Weil die Homöopathie zutiefst unwissenschaftlich ist. Russland hat sie als Pseudowissenschaft eingestuft, Australien verbietet sie im Gesundheitswesen. Viele Länder sind diesen Schritt schon gegangen. Doch Deutschland ist das Mutterland der Homöopathie, sie hat einen unglaublich hohen Stellenwert in der Bevölkerung und einen unglaublich positiven Ruf. Aber das ist keine sanfte Heilmethode, die nichts verkehrt macht, das ist ein Irrglaube.

Sie räumen Gesprächen einen extrem hohen Stellenwert für den Heilungsprozess ein. Wie gehen Sie mit der steigenden Zahl ausländischer Ärzte um? Für Ihre Art zu heilen muss das doch ein großes Problem sein?

GOTTSCHLING Ist es auch. Aber das ist die Schuld des Systems. Wir bilden viel zu wenige Studenten aus. Ich halte es für eine ganz unglückliche Konstruktion, dass wir unsere Lücken so auffüllen. Wenn Patienten ihren Arzt nicht mehr verstehen, macht das Angst und verunsichert. Ich halte das für eine Katastrophe in einem Fachgebiet wie meinem, das von Sprache lebt. Auch bei mir landen regelmäßig Bewerbungen ausländischer Kollegen. Aber das kommt überhaupt nicht in Frage, selbst wenn jemand gut integriert ist. Es sind so viele Zwischentöne, so viele Feinheiten wichtig – das kann nur gravierend in die Hose gehen. Für die sprechende Medizin ist das ein No-go.

Sie haben keinen ausländischen Mitarbeiter?

GOTTSCHLING Nein. Und wenn wir ausländische Patienten haben, ziehen wir einen Dolmetscher hinzu. Wir machen es nicht in der Gebärdensprache, das geht nicht. In unserer Abteilung sind wir im Vorteil, denn wir bekommen noch deutsche Bewerber, und unsere Abteilung ist voll personalisiert. Andere Kollegen in anderen Abteilungen sind in allergrößter Not. Ich kann sie sehr gut verstehen, wenn sie ausländische Ärzte einstellen. Mit diesem Problem sind wir in Deutschland erst am Anfang, und das mit dem Pflegepersonal folgt noch.

Wenn das Arzt-Patienten-Gespräch das wichtigste Instrument im Heilungsprozess ist, heißt das, wenn es mehr davon gäbe, hätten die Ärzte unterm Strich bessere Heilungserfolge?

GOTTSCHLING Unbedingt. Die Ärzte sollten darin aber auch ausgebildet sein. Erst für 2020 ist eine Kommunikations-Ausbildung in der Medizin vorgesehen. Insofern ist derzeit nicht jedes Arzt-Patienten-Gespräch unbedingt ein heil­sames. Man kann auch unheimlich viel Porzellan zerdeppern.

Sie sehen also Chancen, dass sich Ihre Praxis intensiverer Patientengespräche flächendeckend durchsetzt?

GOTTSCHLING Ich bin optimistisch. Aber nicht für jeden Schnupfen braucht es ein halbstündiges traumhaftes Gespräch. Ein Nasenspray tut‘s auch. Und auch in nur fünf Minuten kann man viel gut oder schlecht machen. Der ärztliche Gesprächsanteil wird aktuell immer noch unterbewertet, was seine Effektivität anbelangt.

Vor allem wird er nicht vergütet.

GOTTSCHLING So lange eine Spritze in den Hintern mehr bringt als ein gutes Gespräch, sind wir in der falschen Richtung unterwegs. Genau das zeigt der Zulauf der Menschen zu alternativen Heilmethoden. Sie suchen sie nicht nur, weil sie nebenwirksamsärmer sind, sondern weil sie Kontakt bekommen zu einem Arzt oder Therapeuten, der sich auf sie einlässt. Und das macht im Wesentlichen dann den Heilerfolg aus.

Heilpraktiker sehen Sie trotzdem kritisch.

GOTTSCHLING Ja. Heilpraktiker dürfen in Deutschland fast alles. Die Voraussetzung dafür: Sie müssen 25 Jahre alt sein, mit Hauptschulabschluss und dürfen keine Eintragung ins polizeiliche Führungszeugnis haben. Die Zugangsvoraussetzungen sind also extrem niedrig. Heilpraktiker dürfen nur nicht operieren, sie dürfen keine verschreibungspflichtigen Medikamente verordnen und keine Geschlechtskrankheiten behandeln. Die Prüfung, die ein Heilpraktiker ablegt, dient nicht etwa der Wissenskontrolle, sondern der Gefahrenabwehr. Ein Facharzt braucht zwölf Jahre. Es ist ein Riesenunterschied.

Sollte man den Heilpraktiker-Beruf abschaffen?

GOTTSCHLING Ja. Dass jemand faktisch ohne Ausbildung so viel darf wie ein Arzt, gibt es nur in Deutschland. Die Machtfülle, die ein Heilpraktiker hier hat, ist weltweit einmalig. Das ist eine Quelle gruseliger Zwischenfälle. Wir haben 40 000 Heilpraktiker in Deutschland. Ich weiß nicht, wozu man sie wirklich braucht. Es gibt genügend Ärzte, die in das komplementärmedizinische Fach eingestiegen sind oder antroposophisch orientiert sind.

Wenn Sie selbst lebensbedrohlich erkrankt wären, wie würden Sie sich eine Klinik auswählen? Müsste sie Alternativheilmethoden anbieten?

GOTTSCHLING Ich würde es an Menschen festmachen. Ich muss meinem Gegenüber vertrauen können, ich brauche ein positives Bauchgefühl zu meinem Behandler. Die menschliche Komponente muss stimmen.

Sein Buch „Wer heilt, hat recht“ (Fischer Verlag, 16,90 Euro) stellt Gottschling am 10. März in der SR-Radiosendung „Fragen an den Autor“ vor (Homburg, Schlossberhotel, neun bis zehn Uhr. Eintritt frei).

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