125 Jahre Mitteleuropäische Zeit Als die gute alte Zeit einheitlich wurde

Furtwangen · Vor 125 Jahren führte Deutschland die Mitteleuropäische Zeit ein. Davor tickten Uhren überall anders. Ein Zugunglück änderte das.

 Baden-Württemberg, Furtwangen: Uhrmachermeister Matthias Beck verstellt an verschiedenen Küchenuhren im Deutschen Uhrenmuseum die Uhrzeiten. In der Nacht zum Sonntag werden die Uhren wieder auf Sommerzeit umgestellt - von 2.00 auf 3.00 Uhr.

Baden-Württemberg, Furtwangen: Uhrmachermeister Matthias Beck verstellt an verschiedenen Küchenuhren im Deutschen Uhrenmuseum die Uhrzeiten. In der Nacht zum Sonntag werden die Uhren wieder auf Sommerzeit umgestellt - von 2.00 auf 3.00 Uhr.

Foto: dpa/Patrick Seeger

Am Sonntag dreht Deutschland wieder an der Uhr. Diesmal ist die Umstellung auf Sommerzeit von zwei auf drei Uhr  mit einem Jubiläum verbunden: Die Mitteleuropäische Zeit (MEZ) wird in Deutschland 125 Jahre alt. Am 1. April 1893 wurde sie in Berlin, der Hauptstadt des Kaiserreichs unter Wilhelm II., eingeführt. Das Reichsgesetz „betreffend der Einführung einer Einheitlichen Zeitbestimmung“ legte fest, dass nun die mittlere Sonnenzeit des 15. Längengrades östlich (der genau durch Görlitz in Sachsen führt) als gesetzliche Uhrzeit gilt. Damit war die Mitteleuropäische Zeit von Aachen bis Königsberg eingeführt. Ein Eisenbahnunglück im fernen Amerika war einer der Auslöser.

„Früher hatte jeder Ort seine eigene Zeit“, sagt Johannes Graf vom Deutschen Uhrenmuseum. Die Einrichtung in Furtwangen im Schwarzwald hat die Geschichte der MEZ zum Geburtstag wissenschaftlich aufgearbeitet. „Diese Ortszeit richtete sich nach dem Sonnenstand auf der jeweiligen geografischen Länge.“ Ein Problem sei dies lange nicht gewesen. Doch mit dem Siegeszug der Eisenbahn Anfang des 19. Jahrhunderts änderte sich das.

„Das vergleichsweise schnelle Verkehrsmittel Eisenbahn passte nicht zu der Vielzahl der örtlichen Zeiten“, sagt Graf. So wurden für Züge Einheitszeiten festgelegt, die entlang der Bahnlinien galten und sich meist an der jeweiligen Zeit in den Hauptstädten orientierten. Denn in Bayern galt die Münchner Zeit, in Preußen die Berliner Zeit. Das hatte indes zur Folge, dass es in Bayern immer sieben Minuten später war als in Preußen. Unpraktisch, wenn man zum Beispiel mit dem Zug von München nach Berlin wollte. An den Orten, durch die Züge fuhren, zeigten die Uhren derweil jedoch die Ortszeit. Das bedeutete lästiges Umrechnen und Anpassen. Meistens hingen in den Bahnhöfen zwei Uhren. Die eine zeigte die am Bahnhofsort gültige Zeit. Die andere die Uhrzeit, die sich die Eisenbahngesellschaft als interne Zeit gegeben hatte. Dieses Nebeneinander führte zu Verwirrung, Missverständnissen und Fehlern – mit verheerenden Folgen: Am 12. August 1853 zeigte die Taschenuhr eines Lokführers die falsche Zeit an, der Mann steuerte die Dampflokomotive mit den Waggons auf ein Gleis. Deshalb stießen im US-amerikanischen Virginia Falls zwei Züge zusammen, 13 Menschen starben. Das Unglück löste eine Debatte aus – auch in Europa.

Die Antwort waren Einheitszeiten, die sich an den nationalen Grenzen orientierten. „Doch besonders im kleinräumigen Europa war dieser erste Schritt zur Vereinheitlichung der Zeiten unbefriedigend“, sagt Graf. An Grenzbahnhöfen sorgten sie für Chaos. Am Bodensee etwa mit damals fünf Anrainerstaaten galten so in einem einzigen Bahnhof fünf unterschiedliche Zeiten.

Orientierung versprach ein System aus 24 weltweiten Zeitzonen, das den Staaten Europas 1884 auf einer Konferenz in Washington empfohlen wurde. In Deutschland stieß es auf Vorbehalte. „Um 1890 stritten Politiker und Fachleute heftig über die Frage, ob sich Deutschland dem System anschließen solle“, sagt der Direktor des Deutschen Uhrenmuseums, Eduard Saluz. Konservative lehnten die Einführung der Mitteleuropäischen Zeit jedoch ab: „Sie wollten die Ortszeiten im Alltag beibehalten.“

Wissenschaftler wiederum sagten: Erdbeben und Wetter sowie Bahn- und Postverkehr machten nicht an den Grenzen von Zeitzonen Halt. Besser sei eine einzige Weltzeit. Doch diese kam nicht. Stattdessen etablierte sich die für Mitteleuropa geltende MEZ, die vor und nach Deutschland auch andere europäische Länder einführten. Schon drei Jahre vor dem Reichsgesetz einigten sich die im Verein Deutscher Eisenbahnverwaltung organisierten Staatsbahnen darauf, ihre Fahrpläne nach der „mitteleuropäischen Eisenbahnzeit“ abzustimmen. Damit galt eine verbindliche Betriebszeit, die das Zusammenleben vereinfachte. 1893 wurde die MEZ dann für das gesamte Reich verpflichtend. Erst später kam es auch in Deutschland zur Unterscheidung zwischen Winter- und Sommerzeit und damit zur Notwendigkeit, regelmäßig die Uhren umzustellen.

Zeitzonen seien sinnvoll, sagt Graf: „Sie unterscheiden sich voneinander jeweils um eine ganze Stunde. Die Aufteilung der Erde in 24 solcher Stundenzonen bewirkt, dass die Sonne ungefähr um 12 Uhr mittags im Zenit steht – und das weltweit.“ Somit lebe jeder in einer ihm vertrauten Zeit, die sich an dem Stand der Sonne orientiere – wie zu allen Zeiten der Menschen.

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