Ahmadinedschad ruft Iran zum "Atomstaat" aus

Teheran. Stolz verkündete Präsident Mahmud Ahmadinedschad am 31. Jahrestag der Revolution, dem islamischen Land sei es gelungen, Uran binnen kürzester Zeit auf 20 Prozent anzureichern. Nur wenige Kilometer entfernt vom Teheraner Freiheitsplatz, wo er sprach, riefen Tausende von Regierungsgegnern "Tod dem Diktator"

Teheran. Stolz verkündete Präsident Mahmud Ahmadinedschad am 31. Jahrestag der Revolution, dem islamischen Land sei es gelungen, Uran binnen kürzester Zeit auf 20 Prozent anzureichern. Nur wenige Kilometer entfernt vom Teheraner Freiheitsplatz, wo er sprach, riefen Tausende von Regierungsgegnern "Tod dem Diktator". Die Polizei setzte Tränengas ein und feuerte Schüsse in die Luft, um die Demonstranten daran zu hindern, in die Nähe des Präsidenten zu gelangen. Mehrere Demonstranten wurden angeblich verhaftet.

Da die internationale Atomenergiebehörde IAEA die Uran-Anreicherung im Iran auf 20 Prozent jedoch noch nicht bestätigt hat, sind viele Beobachter der Ansicht, dass Ahmadinedschads Ankündigung ein Manöver ist, um von den neuen Protesten abzulenken. "Das ist ja auch aufgegangen: Die Weltpresse hat sich mehr auf die Atomgeschichte konzentriert als auf die Unruhen", kommentierte ein ausländischer Journalist.

Zwar gingen Tausende von Demonstranten auf die Straßen, aber die von der Opposition erhofften Millionen blieben lieber zuhause. Auch die Auseinandersetzungen waren nicht so schwer wie im vergangenen Dezember, als in Teheran mindestens acht Demonstranten starben. Der ausländischen Presse war, wie schon in den vergangenen Monaten, die Berichterstattung über die Proteste strikt verboten. Die Journalisten wurden von der Teheraner Presseabteilung per Bus zum Freiheitsplatz gebracht und nach der Rede Ahmadinedschads wieder zurückchauffiert.

Äußerlich unbeeindruckt von den Protesten befasste sich Ahmadinedschad am Jahrestag mit seinem Lieblingsthema Atomtechnologie. "Da wir das notwendige Know-how haben, können wir unser Uran sogar bis auf 80 Prozent anreichern", erklärte der Präsident. Obwohl das Land eine "Nuklearmacht" sei, würde es aber weder dies noch den Bau einer Atombombe wollen.

Die politischen Führer des Westens, einschließlich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), bezeichnete er als "(technische) Analphabeten", weil sie trotz strikter Aufsicht der Inspektoren und Kameras der IAEA in den iranischen Atomanlagen immer noch davon redeten, dass das Land eine Atombombe bauen wolle. "Wie soll man bei der ganzen IAEA-Aufsicht eine Atombombe bauen?", fragte der Präsident. Außerdem stehe der Bau von Massenvernichtungswaffen im Widerspruch zum Islam und der Doktrin der islamischen Republik.

Der Westen befürchtet, der neue Anreicherungsprozess könnte der Beginn eines Waffenprojekts sein. Beobachter in Teheran meinen dagegen, dass dies technisch noch nicht machbar ist und interpretieren das Vorgehen eher als Schachzug des Irans, um die Verhandlungen mit den Weltmächten wieder aufzunehmen. "Es ist klar, dass kein Land ohne internationale Zusammenarbeit auskommen kann", räumte sogar Ahmadinedschad ein. Daher wiederholte er seine Bereitschaft, mit jedem beliebigen Land, "auch mit den USA", einen Deal über den Austausch von niedrig- gegen hochangereichertes Uran für seinen Medizinreaktor in Teheran einzugehen. Falls dies geschehen sollte, will der Iran laut dem nationalen Atomchef Ali Akbar Salehi mit dem neuen Anreicherungsprozess auf 20 Prozent aufhören.

Nach iranischen Angaben dient der Reaktor in Teheran lediglich medizinischen Zwecken und der Heilung vorwiegend krebskranker Patienten. Der Brennstoff dafür würde aber in einem Jahr ausgehen, daher könne der Iran "schon aus humanitären Gründen" nicht ewig auf eine politische Einigung mit dem Westen hoffen. "800 000 Patienten sind auf diesen Reaktor angewiesen", so Ahmadinedschad.

Dennoch ließ der Präsident keinen Zweifel daran, dass die Hauptforderung der Weltmächte nach einer Einstellung der Uranreicherung nicht erfüllt werde. "Kein Land der Welt kann uns daran hindern", so Ahmadinedschad. Für ihn sei der Atomstreit nur ein Vorwand. "Was sie wollen, ist Dominanz in der Region, die wir nie zulassen würden. Alles andere, einschließlich der Atomgeschichte, sind nur Ausreden."

Nicht nur er ist im Iran der Auffassung, dass das Hauptziel der Weltmächte die Sicherheit Israels im Nahen Osten ist. "Da hat der Ahmadinedschad nicht ganz unrecht", meinte ein arabischer Diplomat in Teheran. "Falls der Iran Israel als souveränen Staat anerkennen und die Unterstützung anti-israelischer Milizen aufgeben würde, könnte sogar auch der Atomstreit irgendwie gelöst werden."

Meinung

HINTERGRUND

Der Begriff Atomstaat bezeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch ein Land, das nukleare Sprengköpfe besitzt. Eine feste Definition gibt es aber nicht. Der Atomwaffensperrvertrag nennt als Kernwaffenstaaten die Staaten, die bis 1967 eine Kernwaffe oder einen sonstigen atomaren Sprengkörper hergestellt und gezündet haben: USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China. Sie werden als offizielle Atommächte bezeichnet. Inzwischen gelten auch Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea als Besitzer von nuklearen Sprengköpfen. Insgesamt könnte man also von neun Atomstaaten sprechen. Der Atomwaffensperrvertrag verbietet den offiziellen Atommächten, Nuklearwaffen und die notwendige Technologie an andere Länder weiterzugeben. Alle anderen beigetretenen Länder dürfen keine derartigen Waffen erwerben oder entwickeln.dpa

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