Wahlkampf Die SPD muss weiter mehr Mumm wagen

Martin Schulz ist ein Kämpfer. Das hat er mit seiner Rede auf dem fünfstündigen Parteitag der SPD in Dortmund bewiesen. Es ist ihm sogar gelungen, wieder die Aufbruchstimmung zurückzuholen, die es nach seiner Nominierung zum Kanzlerkandidaten in der Partei gegeben hat. Ein neuer Anfang ist gemacht. Mehr aber noch nicht.

Die Genossen stehen hinter Schulz. Das ist schon mal ein großer Vorteil für den Merkel-Herausforderer. Denn das ist für die streitbare SPD nicht selbstverständlich. Vor vier Jahren hieß der Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, er wollte von seiner Partei Beinfreiheit. Bekommen hat er mangelnde Solidarität und Gegen- statt Rückenwind. Schulz muss das nicht fürchten. Er wird weiter von der Hoffnung getragen, dass sich die Partei mit ihm wieder aus dem Umfragekeller lösen kann. Dazu gehört freilich viel Optimismus – und den gibt es erstaunlicherweise immer noch in der SPD. Umso mehr nach Schulz’ starkem Auftritt.

Womöglich liegt das aber auch daran, dass die Partei mit ihrem neuen Wahlprogramm einen deutlich gemäßigteren Weg einschlägt als seinerzeit bei Steinbrück. Für jeden etwas, von Ehe für alle über höheres Kindergeld bis zur Schulsanierung. Vor allem in der Steuerpolitik präsentieren sich die Genossen moderat, wirklich verprellen wollen sie niemanden. Deswegen wurde der Streit um die Vermögensteuer abgewendet, auch wenn er nur vertagt ist. Beim Soli muss sich die Partei allerdings schon fragen lassen, warum sie ihn angesichts sprudelnder Einnahmen nicht gleich ganz abschaffen will und stattdessen doch noch für ein paar Jahre ein Zweiklassen-System installieren möchte. Das wird nur für Verdruss sorgen. Weg damit für alle, dann hätte man Angela Merkel etwas voraus.

Jedenfalls hat Herausforderer Schulz Recht: Der Vorwurf der Inhaltslosigkeit, der ihm in den letzten Wochen gemacht wurde, zieht nicht mehr. Er muss jetzt auf die Kanzlerin angewendet werden. Zwar wird die Union Anfang Juli ihr Programm vorstellen, aber es wird einige Leerstellen aufweisen – zum Beispiel in der wichtigen Rentenpolitik. Und auch aus dem Programm wird wohl nicht ersichtlich werden, wofür die Kanzlerin eigentlich höchstpersönlich steht; welchen Politikentwurf sie vertritt und was sie in den nächsten vier Jahren mit dem Land vorhat, um es voran zu bringen. Merkel ist projektlos. Für Schulz gilt das eindeutig nicht. Vorteil Kandidat.

Strategisch ist das der Knackpunkt, an dem die SPD jetzt ansetzen muss. Hier kann sie Merkel in den kommenden Wochen stellen, auch wenn die Genossen, je näher die Wahl rückt, immer drängender mit der Koalitionsfrage genervt werden dürften. Noch wichtiger als die Inhalte sind in der Politik die Emotionen – die Menschen müssen das Gefühl vermittelt bekommen, dass sich etwas ändern muss im Land. Schulz ist Überzeugungstäter, er hat Leidenschaft, nicht zuletzt für Europa. Etwas, was Merkel fehlt. Er muss die Kanzlerin mehr attackieren. Sie hat offene Flanken. Darin liegt die große Chance des Kandidaten. Er muss weiter mehr Mumm wagen.

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