Stand der Einheit Der Osten hinkt weiter hinterher

Berlin · Ein Regierungsbericht offenbart auch nach 28 Jahren Deutscher Einheit noch große Unterschiede zwischen alten und neuen Bundesländern.

 Für die Feiern zum 3. Oktober wird am Brandenburger Tor in Berlin eine Fotocollage mit Szenen aus Zeiten der Wiedervereinigung vorbereitet. 28 Jahre danach sind die Unterschiede zwischen Ost und West immer noch groß.

Für die Feiern zum 3. Oktober wird am Brandenburger Tor in Berlin eine Fotocollage mit Szenen aus Zeiten der Wiedervereinigung vorbereitet. 28 Jahre danach sind die Unterschiede zwischen Ost und West immer noch groß.

Foto: ZB/Anne Pollmann

Zum Jahrsende werden Ost- und Westdeutschland länger vereint sein, als die Mauer gestanden hat. Trotz spürbarer Fortschritte hinken die neuen Länder den alten aber wirtschaftlich weiter hinterher. Das geht aus dem aktuellen Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit hervor, den die Bundesregierung gestern verabschiedete. Nachfolgend die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick:

Wirtschaftskraft: Unmittelbar nach der Deutschen Einheit im Jahr 1990 betrug die Wirtschaftsleistung pro Einwohner im Osten etwa ein Drittel des Westniveaus. Inzwischen sind es 73,2 Prozent. Während ein Einwohner im Westen im Jahr 2016 durchschnittlich 40 301 Euro erwirtschaftet, sind es im Osten pro Kopf nur 29 477 Euro. In den letzten zehn Jahren ist hier der Aufholprozess weitgehend zum Erliegen gekommen. Seitdem hat sich der Unterschied nur noch um 4,2 Prozentpunkte verringert.

Ursachen: Ein Teil der Erklärung ist nach den Worten des Ostbeauftragten der Bundesregierung, Christian Hirte, die demografische Entwicklung. Seit 1990 ist die Bevölkerungszahl im Osten um elf Prozent geschrumpft. Auch die stärkere ländliche Prägung Ostdeutschlands erschwere eine komplette Angleichung der Wirtschaftskraft. Hinzu kommt die Kleinteiligkeit der ostdeutschen Industrie. So hat in den neuen Ländern kein Großkonzern seinen Hauptsitz. Erfahrungsgemäß seien es aber „in erster Linie die Konzernzentralen, in deren Umfeld sich die besonders wertschöpfungsintensiven Unternehmensteile sammeln“, heißt es im aktuellen Bericht.

Arbeitsmarkt: Vom allgemeinen Beschäftigungsaufschwung profitiert auch der Osten. Allerdings weniger stark. 2017 legte die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den neuen Ländern um 2,1 Prozent zu. Im Westen betrug das Plus 2,3 Prozent. Immerhin ist die jahresdurchschnittliche Arbeitslosenquote im Osten zuletzt stärker zurückgegangen als in den alten Ländern. Mit aktuell 7,6 Prozent liegt der Anteil aber immer noch um 2,3 Prozentpunkte höher als in Westdeutschland (5,3 Prozent). Anfang der 2000er Jahre machte die Differenz zwischen beiden Quoten allerdings noch mehr als zehn Prozentpunkte aus. Interessant: Die Erwerbsbeteiligung von Frauen im Osten ist immer noch höher als in den alten Ländern. Die Quote liegt bei 73,3 Prozent gegenüber 71,1 Prozent im Westen. Auch wegen der wachsenden Erwerbstätigkeit westdeutscher Frauen nähern sich diese Werte aber weiter an.

Lohnentwicklung: Wohl dem, der im Osten einen Tariflohn bekommt. Denn hier ist die Einheit fast erreicht. Die Tariflöhne Ost liegen im Schnitt bei 97,5 Prozent des Westniveaus. In den neuen Ländern sind aber nur noch 44 Prozent der Beschäftigten tarifgebunden – 13 Prozent weniger als im Westen. Unter dem Strich betrug der durchschnittliche Bruttoverdienst eines ostdeutschen Vollzeitbeschäftigten mit 2690 Euro zuletzt auch nur 81 Prozent des Westniveaus. Damit ist die Lohnangleichung sogar auf den Stand des Jahres 2015 zurückgefallen. Die zwischenzeitliche Verringerung des Lohnabstands hing in erster Linie mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns zusammen.

Bewertung: Hirte warnte davor, den Entwicklungsstand schlecht zu reden. Die wirtschaftliche Lage im Osten sei besser als je zuvor. Im Vergleich der europäischen Regionen verfügten die neuen Länder mittlerweile über eine Wirtschaftskraft, „die mit der in vielen französischen und britischen Regionen vergleichbar ist“. Dennoch fühlten sich viele abgehängt, räumte Hirte ein. Sein Appell: „Es darf uns nicht egal sein, wenn so viel Menschen scheinbar das Zutrauen in Staat und Politik verloren haben.“ Dies müsse „ohne erhobenen Zeigefinger“ ernst genommen werden.

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