Spaniens "Tyrannenjäger" vor Gericht

Madrid. "Das ist ein Unding", empört sich Carlos Jimenez Villarejo vor der Tür des Obersten Gerichtshofes in der spanischen Hauptstadt Madrid. "Dieser Prozess zeigt, dass in Spanien der Franquismus immer noch gegenwärtig ist

Madrid. "Das ist ein Unding", empört sich Carlos Jimenez Villarejo vor der Tür des Obersten Gerichtshofes in der spanischen Hauptstadt Madrid. "Dieser Prozess zeigt, dass in Spanien der Franquismus immer noch gegenwärtig ist." Die Anklage wegen "Amtsanmaßung" gegen Spaniens berühmtesten Ermittlungsrichter Baltasar Garzon, weil er die Massenerschießungen der spanischen Franco-Diktatur (1939-1975) untersucht hat, sei ein "Attentat gegen die Menschenrechte" und ein "Angriff auf die Demokratie".Der pensionierte Jurist Jimenez Villarejo ist einer der besten Kenner der spanischen Justiz: Er war als leitender Staatsanwalt Spaniens oberster Korruptionsbekämpfer. Jimenez Villarejo hält den Prozess gegen Garzon, der die systematische Ermordung von über 100 000 Regimegegnern durch Franco-Todeskommandos aufklären wollte, für einen Skandal. "Die Verbrechen der Franco-Diktatur zu untersuchen - das ist kein Vergehen", rufen auch Angehörige von toten Franco-Gegnern vor dem Gerichtsgebäude. Die Anklage gegen Garzon sei ein "Farce" und ein "Schauprozess".

Die ultrakonservative Organisation "Saubere Hände" aus der Franco-Sympathisanten-Ecke, welche die Klage gegen Garzon angestrengt hatte, darf zur gleichen Zeit im katholischen Kirchensender Cope ihre Motive erläutern: "Wir klagen ihn des schlimmsten Deliktes an, das ein Richter verüben kann: das Delikt der Rechtsbeugung", sagt der Sprecher der Organisation, Miguel Bernard. "Garzon wusste, dass das geltende Amnestiegesetz ihm nicht erlaubte, einen Prozess zu starten", behauptet Bernard. Deswegen fordern die Ultrakonservativen ein Berufsverbot für den unbequemen Richter (56), der bereits vor zwei Jahren wegen ihrer Klage vom Dienst suspendiert worden war.

Das Amnestiegesetz von 1977, welches den Franco-Schergen nach dem Untergang der Diktatur 1975 Straffreiheit zusicherte, existiert tatsächlich. Nach Auslegung Garzons können "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" aber damit nicht per Federstrich ausradiert werden. Diese Auffassung teilen der Europäische Menschengerichtshof wie auch internationale Völkerrechtler.

Garzon gilt weltweit als Vorreiter bei der Ahndung von Menschenrechtsverbrechen. Berühmt wurde der "Tyrannenjäger" durch seine Ermittlungen gegen südamerikanische Diktatoren und auch gegen die US-Regierung wegen des Folterlagers in Guantanamo. Und auch die Konservativen haben mit Garzon noch eine Rechnung offen: Der Richter deckte 2009 einen gigantischen Korruptionsskandal in der Partei auf. Inzwischen arbeitet Garzon für den Internationalen Gerichtshof in Den Haag. ze Foto: Martin/dpa

Meinung

Zynisches Trauerspiel

Von SZ-MitarbeiterRalph Schulze

Fast scheint es so, als ob in Spanien Francos Erben immer noch mitregieren: Wie sonst ist zu erklären, dass nun dem eisernen Untersuchungsrichter Garzon und nicht den Henkern des skrupellosen Unrechtsregimes der Prozess gemacht wird?

Die Welt wird Zeuge eines zynischen juristischen Trauerspiels. Das nur möglich ist, weil Spanien auch mehr als 36 Jahre nach Ende der Diktatur die dunkle Vergangenheit noch immer nicht verdaut hat. Eine fragwürdige Generalamnestie aus dem Jahr 1977 schützt die Täter und verhindert bis heute eine ehrliche Aufarbeitung des Franco-Horrors.

Es ist paradox, dass Chile und Argentinien, wo Garzon ebenfalls zur Aufklärung von Menschenrechtsverbrechen beitrug, inzwischen bei der Abrechnung mit ihren Regimen weiter sind, als der EU-Staat Spanien.

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