Senat entmachtet Dilma Rousseff

Rio de Janeiro · Mit klarer Mehrheit sprechen sich die Senatoren für die formelle Aufnahme eines Amtsenthebungsverfahren aus. Während Vize Temer die Regierung übernimmt, müssen sie den Fall Rousseff erneut prüfen – und können die Staatschefin dann endgültig kippen.

 Kurz vor dem letzten Akt: Brasiliens inzwischen abgesetzte Präsidentin Dilma Rousseff und Stabschef Jaques Warner wagen einen Blick aus dem Planalto-Palast. Foto: Bizerra Jr./dpa

Kurz vor dem letzten Akt: Brasiliens inzwischen abgesetzte Präsidentin Dilma Rousseff und Stabschef Jaques Warner wagen einen Blick aus dem Planalto-Palast. Foto: Bizerra Jr./dpa

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Nach mehr als fünf Jahren muss die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff die Macht abgeben. Der Senat in Brasilia stimmte gestern mit 55 zu 22 Stimmen dafür, dass die Staatschefin ihr Amt zunächst für maximal 180 Tage ruhen lassen muss. In dieser Zeit müssen die Senatoren unter Leitung des Obersten Gerichts die Vorwürfe gegen Rousseff erneut prüfen und könnten sie danach endgültig absetzen. Vizepräsident Michel Temer übernimmt die Regierungsgeschäfte. Er wird im August auch an Rousseffs Stelle die Olympischen Spiele in Rio eröffnen.

Während der 20-stündigen Debatte im Oberhaus gingen Anhänger und Gegner der Präsidentin vor dem Senatsgebäude aufeinander los. Rousseff sieht sich als Opfer einer Intrige: "Das ist ein Putsch." Die frühere Guerilla-Kämpferin, die wegen ihres Kampfes gegen die Diktatur in den 70er Jahren im Gefängnis gefoltert worden war, wurde 2010 als erste Frau an die Spitze des brasilianischen Staates gewählt. Schon in ihrer ersten Amtszeit gab es Massenproteste gegen die teure Fußballweltmeisterschaft und die harten Lebensbedingungen. Dennoch schaffte sie im Oktober 2014 knapp die Wiederwahl.

Rousseffs Zustimmungswerte befinden sich seit Monaten in freiem Fall: Das Land durchlebt die schlimmste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten und leidet unter hoher Arbeitslosigkeit und Inflation. Hinzu kommt der gigantische Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras , in den Politiker von Rousseffs Arbeiterpartei, ihres ehemaligen Bündnispartners PMDB bis hin zu Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva verwickelt sein sollen. Die entscheidende Abstimmung im Senat über die Absetzung Rousseffs wird für September erwartet, nach Olympia und vor den Kommunalwahlen im Oktober. Rousseffs Parteifreund Paulo Paim kündigte an, dass sich die PT nun darauf konzentrieren werde, die Präsidentin während des Verfahrens im Oberhaus zu verteidigen. Magno Malta von der oppositionellen Republikanischen Partei bezeichnete eine Amtsenthebung Rousseffs "als bittere Medizin", die nötig sei, um das Land auf Kurs zu bringen.

Selbst die Gegner der Präsidentin zweifeln aber daran, dass Temer der richtige Mann für einen Neuanfang ist. "Wir glauben nicht, dass Temer es besser machen wird", sagte eine Demonstrantin. Temer verkörpere die "traditionelle Politik" und werde daher die Unzufriedenheit des brasilianischen Volkes zu spüren bekommen, sagte Thiago Bottino von der Stiftung Getúlio Vargas. Umfragen zufolge würden nur zwei Prozent der Brasilianer dem 75-Jährigen bei Präsidentschaftswahlen ihre Stimme geben.

Meinung:

Ein unwürdiges Ende

Von SZ-Mitarbeiter Klaus Ehringfeld

Es ist ein wirklich unwürdiges, weil in erster Linie scheinheiliges Ende für Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff . Ihre Gegner haben das Amtsenthebungsverfahren missbraucht, um die linksliberale Staatschefin für ihre politischen Fehler zu bestrafen und sie vor der Zeit loszuwerden: In erster Linie sollte sie für die katastrophale Wirtschaftslage und die Ausmaße des Bestechungsskandals um den Ölkonzern Petrobras büßen. Nur ist das Impeachment-Verfahren für so etwas überhaupt nicht vorgesehen. Auch konnte ihr bislang niemand persönliche Bereicherung vorwerfen. Ihre Gegner im Parlament haben deshalb einen anderen Vorwurf vorgeschoben: Rousseff habe den Staatshaushalt geschönt, damit sie bei ihren großen Sozialprojekten nicht kürzen müsse. Das ist zwar tatsächlich unzulässig, reicht aber kaum für das für ein Amtsenthebungsverfahren notwendige "Verantwortlichkeitsverbrechen" aus. Und so sprechen viele Juristen und Politiker ähnlich wie die Staatschefin wohl zu Recht von einem "kalten Putsch".

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