"Rückwärtsbewegung ist falsch"

Berlin/Saarbrücken. Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) hat die Bundesländer kritisiert, die das Abitur an allgemeinbildenden Gymnasien wieder wie ursprünglich nach neun Schuljahren ermöglichen. "Diese Rückwärtsbewegung ist falsch. Sie wird neue Unzufriedenheit produzieren", sagte Schavan dem Magazin "Focus"

Berlin/Saarbrücken. Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) hat die Bundesländer kritisiert, die das Abitur an allgemeinbildenden Gymnasien wieder wie ursprünglich nach neun Schuljahren ermöglichen. "Diese Rückwärtsbewegung ist falsch. Sie wird neue Unzufriedenheit produzieren", sagte Schavan dem Magazin "Focus". Sie hatte als Kulturministerin von Baden-Württemberg als Erste in Westdeutschland das Abitur nach acht Gymnasialjahren propagiert. Das Modell war mit der G8-Reform bundesweit zur Norm geworden.

Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg bietet allerdings mit dem Schuljahr 2012/13 wieder neunjährige Gymnasien (G9) an. In Bayern soll es zum Schuljahr 2013/14 ein freiwilliges neuntes Zusatzjahr geben. Hessen will eine Wahlfreiheit schaffen und auch wieder G9 anzubieten.

Schavan pries im "Focus" die Verkürzung der Gymnasialzeit als einen "Gewinn an persönlicher Freiheit für die Schüler. Sie gewinnen ein Jahr, in dem sie selbst bestimmen, wie sie ihre Zeit nutzen. Das hätte uns früher auch gut getan." Kritiker beklagten dagegen überfrachtete Lehrpläne und dadurch unnötige Belastungen für Schülerinnen und Schüler.

Im Saarland hatte der frühere Bildungsminister Jürgen Schreier (CDU) 2001 als erstes der alten Bundesländer das G8 eingeführt. In den Jahren darauf hatte es viele Auseinandersetzungen um Lehrpläne und zu hohen Schulstress gegeben. Seit diesem Schuljahr wird aber auch im Saarland eine Alternative zum achtjährigen Gymnasium angeboten. Mit der Einführung der Gemeinschaftsschule, einer Zusammenfassung von Erweiterten Realschulen (ERS) und Gesamtschulen, gibt es nun auch einen Weg zum Abitur nach neun Jahren.

Unterdessen hat der hessische Landeselternbeirat das vom dortigen Kultusministerium vorgelegte Konzept zur Wahlfreiheit an den Gymnasien zwischen einer acht- oder neunjährigen Gymnasialzeit abgelehnt. In der Mittelstufe dürfe es keine Verkürzung der Schulzeit geben, teilte der Landeselternbeirat mit. Die hessischen Eltern forderten eine unverzügliche Rückkehr für die Sekundarstufe I zu einer sechsjährigen Schulzeit. Bei einer Neugestaltung der Sekundarstufe II könne aber die Schulzeit in der Oberstufe für die Schüler, die dies leisten könnten, verkürzt werden. Die von Kultusministerin Nicola Beer (FDP) in einem Gesetzentwurf eingebrachte Wahlmöglichkeit zwischen G8 und G9 lehnten die Eltern ab. Nach Vorstellung des Ministeriums sollen Gymnasien Wahlfreiheit bekommen, ob und wie sie die verkürzte Schulzeit G8 reformieren. Dabei sind zwei Wege vorgesehen. Der Regelfall ist der Beschluss einer Schule, vollständig zum Abitur nach 13 Jahren (G9) zurückzukehren. Der zweite Weg ist ein Modellversuch für große Gymnasien, G8 und G9 anzubieten. dpa/red

Foto: Prost/dapd

Meinung

Unsinnige Kehrtwende

Von SZ-Redakteur

Volker Meyer zu Tittingdorf

Das G8 ist seit seiner Einführung vor allem bei Eltern unbeliebt. Jetzt drehen die Landesregierungen, die noch vor Jahren die verkürzte Gymnasialzeit als großen Wurf in der Schulpolitik gepriesen hatten, die Reform mehr oder minder stark zurück - mit ärgerlichen Folgen. Wieder doktort jedes Bundesland für sich an einer Strukturreform herum, neue Lehrpläne werden erarbeitet, Lehrer und Schüler müssen sich umstellen. Darunter werden alle an den Schulen zu leiden haben. Der Trend zur Reform der Reform zeigt aber noch etwas: die Unfähigkeit vieler Länder, die alten G9-Lehrpläne so zu straffen und umzugestalten, dass das Gros der Schüler mit der verkürzten Gymnasialzeit zurechtkommt und sich nicht überfordert fühlt. G8 kann sinnvoll sein, man muss es nur gut machen - vor allem besser machen als bisher.

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