Polizei geht gegen Putin-Gegner vor

Moskau · Moskau. Plötzlich stehen sie alle auf der Straße, legen den Verkehr lahm - und sind selbst überrascht von ihrer Aktion. Die genehmigte Antiregierungsdemonstration ist zu dem Zeitpunkt offiziell zu Ende, mit Festnahmen ihrer Anführer. Russland hat seine Samthandschuhe wieder ausgezogen.Etwa 2000 Menschen bleiben am Bürgersteig stehen, skandieren das, was sie seit Wochen, seit Jahren tun

Moskau. Plötzlich stehen sie alle auf der Straße, legen den Verkehr lahm - und sind selbst überrascht von ihrer Aktion. Die genehmigte Antiregierungsdemonstration ist zu dem Zeitpunkt offiziell zu Ende, mit Festnahmen ihrer Anführer. Russland hat seine Samthandschuhe wieder ausgezogen.Etwa 2000 Menschen bleiben am Bürgersteig stehen, skandieren das, was sie seit Wochen, seit Jahren tun. "Putin, der Zar", solle weg. Eine Provokation in den Augen der Staatsmacht. Die Mechanismen gegen eine solche Brüskierung sind seit Jahren dieselben, und sie sind nach der Wahl des Präsidenten wieder da: wahlloses Aufgreifen von Menschen, gewaltsames Zerren in den Polizeibus und auch mal ein kurzes, heftiges Zuschlagen mit dem Schlagstock. Am Ende melden die Behörden 250 Festnahmen in weniger als zwei Stunden, die Opfer klagen über Prellungen und Verletzungen am Kopf. Putins Sprecher Dmitri Peskow sagt am Morgen nach der Aktion: "Die Polizei zeigte ein hohes Maß an Professionalität, Gesetzestreue und Effektivität." Menschenrechtler und selbst der Drittplatzierte bei der Präsidentschaftswahl, der Multimilliardär Michail Prochorow, verurteilten die Polizeigewalt. Putin selbst zeigte sich gelassen. Die Straßenproteste hätten nichts mit den Wahlen zu tun, sie seien ein Element des politischen Kampfes. Mehr gäbe es da nicht zu kommentieren. An diesem Samstag wollen die Unzufriedenen wieder auf die Straße ziehen, 50 000 Menschen sollen kommen - trotz der Einschüchterung und dem hohen Polizeiaufgebot in Moskau.

Es herrscht eine Pattsituation in Russland. Weder die Regierung noch die Opposition scheinen sich weiterzubewegen. Die Staatsmacht beharrt auf ihrer Stabilität und der angeblich großen Zustimmung im Volk - mit den knapp 64 Prozent der Stimmen für Putin bei der Wahl bewiesen, so die Haltung. Die Opposition bietet seit Wochen die immer gleichen Losungen - aber kein Konzept.

"Die Straßenproteste haben sich erschöpft", sagt der Politologe Dmitri Oreschkin im Gespräch mit dieser Zeitung. Russlands Opposition stecke in der Sackgasse. Die Staatsmacht nutze das aus: "Sie muss doch zeigen, dass sie einen großen Sieg errungen hat, der vor allem ein PR-Sieg ist, perfekt inszeniert, nicht ganz so perfekt gefälscht", meint Oreschkin, der Mitglied beim Menschenrechtsrat beim russischen Präsidenten ist und stets bei den Protesten teilnimmt. Der Kreml kontrolliere die Situation im Land und habe zeigen müssen, dass er das tatsächlich tue, sei es auch für das Fernsehen. "Es hätte einen ja gewundert, wenn die Polizisten ruhig danebengestanden hätten, während die Oppositionellen die Straße lahmlegen." Oreschkin rät den Wutbürgern zum Engagement im institutionellen Rahmen. "Von der Straße müssen sie sich verabschieden, aber den langen Atem dürfen sie sich nicht nehmen lassen."

Putin müsse nun eine Wandlung durchmachen, sagt Nikolai Petrow vom Carnegie-Zentrum in Moskau. "Die Zarenrolle aufgeben und Politiker werden, bereit zum Kompromiss sein", sagt er. Putins Auftritte im Wahlkampf und das harte Durchgreifen gegen die Demonstranten zeigten nicht gerade seine politische Wendigkeit. "Wenn er sich nicht ändert, bleiben ihm zwei Jahre. Dann schaffen ihn andere ab."

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