EU-Kommission bestärkt das Misstrauen in die Union

Brüssel. Der Eindruck drängt sich auf: Mit fast schon genüsslicher Penetranz attackiert die Europäische Kommission Deutschlands Wirtschaft. Die Liste der Versuche, hiesige Vorzeigebetriebe sturmreif zu liberalisieren, ist lang

Brüssel. Der Eindruck drängt sich auf: Mit fast schon genüsslicher Penetranz attackiert die Europäische Kommission Deutschlands Wirtschaft. Die Liste der Versuche, hiesige Vorzeigebetriebe sturmreif zu liberalisieren, ist lang. Sie enthält nicht nur das VW-Gesetz und die Westdeutsche Landesbank, sondern auch die Instrumentalisierung des Klimaschutzes für den Kampf gegen die Autobauer sowie die Unnachgiebigkeit gegen energieintensive Konzerne. Und sie reicht bis zum Versuch, die Strom- und Gasproduzenten in Deutschland zu zerschlagen. Dabei gibt es viele gute Gründe für einen Staat, "seine" Unternehmen zu schützen. Die Sicherheit von Arbeitsplätzen in Niedersachsen, die beispielsweise das VW-Gesetz garantieren soll, gehört dazu. Dass eine Gesellschaft Regeln findet, die den ausschließlich von Rendite geleiteten Zugriff eines Mehrheitsaktionärs begrenzen, ist nachvollziehbar - auch wenn sie ein Verstoß gegen die reine Lehre vom uneingeschränkten Markt sein sollten.Die Aufgabe der Kommission sieht richtigerweise die Wahrung des freien Marktes vor. Aber dies gibt ihr nicht das Recht, typische nationale Errungenschaften zu zerschlagen. Vor allem dann nicht, wenn die unterstellten Wettbewerbsprobleme nicht einmal theoretisch nachweisbar sind und sich Brüssel - wie im Fall Volkswagen - zum Erfüllungsgehilfen eines potenziellen Aufkäufers macht. Diese Praxis ist vor allem deswegen unverständlich, weil sie von einem Kommissar exekutiert wird, dessen irische Heimat gerade erst den Reformvertrag von Lissabon exakt wegen dieser Vermutung von Eingriffen in nationale Hoheiten abgelehnt hat. Dass ausgerechnet er eine politische Linie fährt, die jeden Verdacht eines europäischen Zentralismus ohne Rücksicht auf die Besonderheiten eines Mitgliedstaates bestärkt, ist bestenfalls unbegreiflich.Doch er steht nicht allein. Mit fast schon gottgleicher Unfehlbarkeit straft, verurteilt und ordnet die Kommission an, was keineswegs ihre Aufgabe ist. Die übrigen EU-Institutionen werden immer häufiger zu Widerstandskämpfern, deren wesentliche Arbeit im Abwehren oder wenigstens im Abschwächen überzogener Vorlagen besteht. Weder bei der Dienstleistungsrichtlinie noch bei anderen großen Gesetzeswerken war es die Kommission, die Grundsätze wie Jobsicherheit, Arbeitnehmerrechte oder Sozialstandards einbezogen hat. Fast immer mussten Ministerrat oder Parlament nachbessern. Dass eine solche Kommission die Mutmaßung nährt, zu einem einseitigen Erfüllungsgehilfen der Wirtschaft zu verkommen, liegt auf der Hand - sogar dann, wenn man prinzipiell ein Mehr an Flexibilität bei sozialen Schutzrechten für durchaus angebracht hält.Ausgerechnet in einer Situation, in der die Europäische Union um eine innere Reform kämpft, in der sich alle bemühen, die Eigenverantwortung der 27 Mitgliedstaaten als eine Errungenschaft zu feiern, durchkreuzen Präsident José Manuel Barroso und seine Kommissare ein ums andere Mal jeden Versuch, die Gemeinschaft als Zugewinn für ihre Bürger, für die Arbeitnehmer, für die Menschen zu präsentieren. Kein Wunder, wenn die Betroffenen dann aus dem Lissabonner Vertrag vor allem jene Passagen herauslesen, die Brüssels Macht noch ausweiten - und ihn deshalb ablehnen.

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