Die harmonische Casting-Show"Ich bekomme bei der Nationalmannschaft nichts geschenkt"

Palma de Mallorca. "Wenn du in die Berge gehst und rufst: ,Hallo Echo', dann antwortet kein Echo. Weil Echos haben auch Geschmack." Dieter Bohlen, professionelles Castingshow-Jurymitglied, ist im Gegensatz zu Bundestrainer Joachim Löw etwas direkter in seinen Begründungen, wenn er Kandidaten nach Hause schickt

 Das endgültige EM-Aufgebot steht: Bundestrainer Löw hat Stürmer Patrick Helmes und die Mittelfeldspieler Marko Marin und Jermaine Jones (v. l. n. r.) nach Haus geschickt. Foto: Hübner

Das endgültige EM-Aufgebot steht: Bundestrainer Löw hat Stürmer Patrick Helmes und die Mittelfeldspieler Marko Marin und Jermaine Jones (v. l. n. r.) nach Haus geschickt. Foto: Hübner

Palma de Mallorca. "Wenn du in die Berge gehst und rufst: ,Hallo Echo', dann antwortet kein Echo. Weil Echos haben auch Geschmack." Dieter Bohlen, professionelles Castingshow-Jurymitglied, ist im Gegensatz zu Bundestrainer Joachim Löw etwas direkter in seinen Begründungen, wenn er Kandidaten nach Hause schickt. Wenn der Trainer der Fußball-Nationalmannschaft am Ende seiner Castingshow mit dem Titel: "Deutschland sucht sein EM-Aufgebot" erklärt, warum Jermaine Jones, Patrick Helmes und Marko Marin nicht mit in die Schweizer und Österreicher Berge zur Europameisterschaft fahren dürfen, dann hört sich das so an: "Es war nur ein Sandkorn, das die Waage ausschlagen ließ." Sogar Mitgefühl ist in seinen Sätzen eingebettet: "Die Enttäuschung spürte man förmlich im Raum", so Löw.

Er war nach der "Millimeter-Entscheidung" darum bemüht, Jones, Helmes und Marin keinesfalls als Verlierer des von ihm ausgerufenen "Castings" um die 23 Kader-Plätze darzustellen: "Wir müssen den Spielern unseren Dank aussprechen. Sie können sich keinen Vorwurf machen - und wir ihnen auch nicht. Alle drei haben verbissen gekämpft."

Des einen Leid ist des anderen Freud - das ist nicht nur bei den Bohlen-Kandidaten so, das ist auch im Teamhotel "Son Vida" auf Mallorca so. Vermeintliche Streich-Kandidaten wie David Odonkor, Piotr Trochowski, Oliver Neuville oder auch Tim Borowski, der sich wegen eines grippalen Infektes gar nicht im Training beweisen konnte, haben nicht nur tief durchgeatmet, sie erfuhren auch im Ansatz von Löw, warum sie dabei bleiben dürfen. So sprach für Borowski, "dass er Michael Ballack ersetzen kann, wenn der mal ausfällt", wie Löw erläuterte. Und Odonkor habe eben eine außergewöhnliche "Waffe, seine Schnelligkeit".

Marin, nur 1,68 Meter groß, sei körperlich noch nicht robust genug. "Der Sprung von der 2. Liga zu einem EM-Turnier wäre noch zu groß", sagte Löw. Helmes verlor das Duell um den fünften Stürmerplatz gegen den "turniererfahrenen Gladbacher Neuville" (35), dem damit eine dritte EM-Ausmusterung nach 2000 und 2004 erspart blieb. Auch gegen Jones sprach die fehlende Turniererfahrung, denn Löw berief gleich 15 WM-Spieler von 2006 ins Aufgebot. "Die Spieler, die das Sommermärchen mitgestaltet haben, haben auch den Großteil der EM-Qualifikation gespielt und es verdient", bemerkte Abwehrchef Christoph Metzelder.

Da alles sehr harmonisch war bei der Trennung, enthielten auch die vom DFB verbreiteten Kommentare der Ausgemusterten keinerlei Boshaftigkeiten im Bohlenschen Stil. "Ich werde nach dem Urlaub wieder angreifen", erklärte Helmes. "Ich habe alles gegeben und habe mir nichts vorzuwerfen", bemerkte Jones. Und Marin versuchte, sich damit zu trösten, dass er beim 2:2 gegen die Weißrussen immerhin sein erstes Länderspiel bestreiten durfte: "Ich bin noch jung", sagte er und ergänzte: "Den Jungs drücke ich jetzt die Daumen."

Und so kam es, dass etwas geschah, das Bohlen nie einfallen würde. Löw lud alle drei zum "Recall" nach der WM ein: "Sie haben ihre Position bei uns verbessert. Man wird sie wiedersehen." Aber nicht in den Alpen. Herr Metzelder, im Normalfall fällt es Fußballern nach einer Verletzung schwer, sich wieder heranzukämpfen, Sie regenerieren anscheinend immer sehr schnell. Wie schaffen Sie das?

Christoph Metzelder: Kann ich auch nicht sagen. Ich hoffe, dass es genauso funktionieren wird wie vor der WM 2006. Für Leistungssportler gibt es eh nie eine Garantie. Natürlich ist es ein Nachteil, in der Zeit vor dem Turnier nicht spielen zu können. Aber ich vertraue auf meine Stärken und die Leute hier beim DFB. Und: Wenn ich gesund bin, gibt es keine Zweifel, dass ich spielen werde. Doch bis dahin muss ich beweisen, dass ich auf dem Niveau bin.

Wo sehen Sie Nachholbedarf?

Metzelder: Nur noch in kleinen Details. In den vergangenen Ligaspielen habe ich mich erstaunlich gut gefühlt, lediglich die eine oder andere Beschwerde am Fuß verspürt.

Wie oft haben Sie denn bei Real Madrid nach ihrer Verletzung gespielt?

Metzelder: Zwei Ligaspiele, eins über 90 Minuten, einmal 30 Minuten. Es kann aber auch ein Vorteil sein, nicht so viel gespielt zu haben. Ich habe auf sehr hohem Niveau trainiert in Madrid, auch wenn ich jetzt nicht so viele Spiele hatte wie in Dortmund vor der WM.

Stammspieler müssen über hohe Spielpraxis verfügen, sagt Kapitän Michael Ballack

Metzelder: Michael war auch lange verletzt. Das ist sicher nicht optimal, aber die Vergangenheit hat gezeigt, dass es auch nicht unbedingt optimal ist, vor einem Turnier viel gespielt zu haben. Diese Spieler hatten die Saison dominiert, aber dann?

Woher nehmen Sie die Kraft nach Rückschlägen?

Metzelder: Während meiner Achillessehnenverletzung habe ich gedacht, dass es nicht mehr geht. Wenn man das einmal durchgestanden hat, dann ist alles, was danach an Druck kommt, sehr gering einzuschätzen. Offensichtlich ist es der Plan meiner Karriere, nach den Höhepunkten in meinen jungen Jahren, mir auch Rückschläge zu präsentieren.

Im Vergleich zu 2006, haben Sie ein anderes Vertrauen in die Stärke der Mannschaft?

Metzelder: Insgesamt merkt man, wenn man sich die jungen Spieler anschaut, dass aus ihnen Persönlichkeiten geworden sind. Wir sind viel weiter als 2006.

Wie wichtig ist das Defensiv-Verhalten bei einem Turnier wie der EM?

Metzelder: Bei der WM 2006 haben sich die Teams durchgesetzt mit der besten Organisation im Defensiv-Verhalten. Die EM 2002 war eher eine Euro der Individualisten. Was wir dieses Jahr in der Champions League gesehen haben, zeigt uns, dass die EM 2008 taktisch und physisch auf einem sehr hohen Niveau sein wird, darauf müssen wir uns einstellen

In der Nationalmannschaft spielen Sie nun seit mehr als zwei Jahren mit Per Mertesacker in der Innenverteidigung. Ist dies ein Vorteil?

Metzelder: Ich glaube, dass es das Ziel der Trainer war, die Mannschaft so zu entwickeln, dass sie unabhängig von Personen funktioniert. Natürlich hat dieses Team aber auch ein Gerüst. Per, Jens Lehmann und ich sind seit der WM eingespielt, wir haben bewiesen, dass wir sehr gut harmonieren. Aber das ist keine Garantie. Hier will sich jeder beweisen, es ist kein Platz vergeben, das nehme ich auch so an. Ich bin froh, nominiert zu sein, das heißt aber nicht, dass ich bei der Nationalmannschaft was geschenkt bekomme.

Ist Heiko Westermann ein Konkurrent für Sie?

Metzelder: Absolut, ja. "Sie können sich keinen Vorwurf machen - und wir ihnen auch nicht. Alle drei haben verbissen gekämpft."

Joachim Löw

Meinung

Wenig mutig, dennoch richtig

Von SZ-Redaktionsmitglied

Michael Kipp

Die Entscheidung von Löw, mit Marin, Jones und Helmes drei junge Spieler nach Hause zu schicken, ist wenig mutig, dennoch nachvollziehbar. Wenig mutig ist sie, weil Löw damit keinem wirklich weh tut. Die drei heißen nicht Timo Hildebrand und werden nun keine Verbal-Attacken ablassen, da sie wissen, ihnen gehört die Zukunft. Alle drei haben zwar Talent, sogar mehr als Odonkor, der mitdarf. Aber alle drei sind für Löw auch unberechenbar. Bei Odonkor weiß er, dass er immer das zeigt, was er kann. Auch wenn das nicht viel ist - Löw kann damit rechnen, dass der Flügelspieler konsequent seine Qualitäten einsetzt. Außerdem kann er Tore gegen Polen vorbereiten, wie die WM 2006 gezeigt hat.

Das wichtigste Argument für Löw war sicher, dass die drei wenig bis gar nicht international gespielt haben und wenig von diesem abstrakten Wert Erfahrung haben, der in einem Turnier eine große Rolle spielen kann. Deshalb ist die Entscheidung nicht nur nachvollziehbar, sondern auch richtig.

Auf einen Blick

Der DFB-Kader für die Fußball-Europameisterschaft

 Verteidiger Christoph Metzelder hofft nach seiner Verletzung, topfit und als Stammspieler in die EM zu gehen. Foto: dpa

Verteidiger Christoph Metzelder hofft nach seiner Verletzung, topfit und als Stammspieler in die EM zu gehen. Foto: dpa

Tor: Ren&; Adler (23, Bayer Leverkusen), Jens Lehmann (38, FC Arsenal), Robert Enke (30, Hannover 96). - Abwehr: Heiko Westermann (24, FC Schalke 04), Marcell Jansen (22, Bayern München), Arne Friedrich (29, Hertha BSC), Philipp Lahm (24, Bayern München), Per Mertesacker (23, Werder Bremen), Christoph Metzelder (27, Real Madrid), Clemens Fritz (27, Werder Bremen). - Mittelfeld: Bastian Schweinsteiger (23, Bayern München), Torsten Frings (31, Werder Bremen), Michael Ballack (31, FC Chelsea), Thomas Hitzlsperger (26, VfB Stuttgart), Tim Borowski (28, Werder Bremen), David Odonkor (24, Betis Sevilla), Piotr Trochowski (24, Hamburger), Simon Rolfes (26, Leverkusen). - Angriff: Oliver Neuville (35, Bor. M'gladbach), Miroslav Klose (29, Bayern München), Lukas Podolski (22, Bayern München), Kevin Kuranyi (26, FC Schalke), Mario Gomez (22, VfB Stuttgart). dpa

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